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Die im Dunkeln und die im Licht

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Fotos: Barbara Kaiser

Cora Chilcott und Volker Jaekel mit Brecht-Weill-Programm im Neuen Schauspielhaus

Manchmal nimmt Erkenntnis den Umweg übers Vorurteil oder ein anderes Dogma. So wie der Vatikan 400 Jahre brauchte, um die Lehre Galileis endlich offiziell anzuerkennen, bekam ein nicht nur zu Lebzeiten heftig angefeindetes bayerisches Landeskind erst 2009 einen Platz in der Münchener Ruhmeshalle. Späte Ehrung, aber immerhin 53 Jahre nach seinem Tod.

Auch heute noch halten einige Bert Brecht für den unverbesserlichen Ideologen und haben wahrscheinlich keine Ahnung. Davon, wie hochaktuell seine Verse noch immer sind und wie wunderbar zeitlos seine Liebeslyrik. 

Im Neuen Schauspielhaus an der Rosenmauer trafen sich am Wochenende rund 55 ZuschauerInnen, die von allen diesen Zögerlichkeiten und Zierereien nichts wissen wollen. Die Schauspielerin und Sängerin Cora Chilcott und ihr Begleiter Volker Jaekel entschädigten sie in knapp zwei Stunden mit einem Programm, in dem die vielen klugen Dialektiken und flotten Sottisen des Schriftstellers bewiesen, wie schön das Einfache, das so schwer zu machen ist, sein kann.

Cora Chilcott interpretierte die berühmtesten Songs aus der „Dreigroschenoper“, aus „Aufstieg und Fall der Stadt Mahagonny” und aus „Happy End“, dem „Song-Spiel“, mit dem Brecht im Jahr 1929 an den Erfolg der „Dreigroschenoper“ anzuknüpfen hoffte. Sie enthüllte Geschichten von der Liebe und anderen Mächten, welche untrennbar von den gesellschaftlichen Verhältnissen zu sehen sind und doch allgemeingültig zu sein scheinen.

Chilcott wurde in Leipzig geboren und absolvierte ihr Schauspielstudium mit Diplom an der Hochschule für Film und Fernsehen „Konrad Wolf“ in Babelsberg. Es folgte eine Gesangsausbildung, und vor allem der Meisterkurs im Fach Chanson bei großen (ost)deutschen Diseuse Gisela May dürfte sie für solche Programme prädestinieren. Als Schauspielerin und Sängerin war sie Ensemblemitglied am Brecht-Theater am Schiffbauerdamm in Berlin (bis 2014) und tourt mit ihren Schauspiel-Soli durch Deutschland und verschiedene europäische Länder.

Ihr kongenialer Partner am Klavier, Volker Jaekel, wurde in Thüringen geboren und studierte Klavier, Orgel und Kapellmeister in Halle (Saale), Leipzig, Weimar und Berlin. Konzerttourneen führten ihn quer durch Europa bis nach Übersee. Seit 2006 ist er Musiker an der Nikodemus-Kirche Berlin und Initiator der Reihe „jazz & beyond“. Sein Credo: Jazz, Klassik und Weltmusik zu einem Dreiklang zu verbinden.

An diesem Abend war er vor allem als mitdenkender Pianist gefragt; für die Musik von Kurt Weill braucht`s keinen nur stupiden Notenleser. Nebenbei: Auch Gisela May hielt während ihrer langen Karriere an Henry Krtschil (gest.: 2020) als Begleiter fest und äußerte sich immer wieder begeistert über seine Empathie, sein Können und seinen  musikalischen Verstand. Unähnlich in der Physiognomie ist Jaekel ihm übrigens nicht.

Cora Chilkott hat eine große Chansonstimme, sie füllt die Bühne (und sicherlich nicht nur diese kleine) mit ihrem Charisma und einer unverwechselbaren Überzeugung: Einer Seeräuber-Jenny, vor der man Angst haben muss, der Rezitatorin, die Zeit zum Mitdenken gibt, einer Erzählerin, die liebevoll und spöttisch zu sein vermag. Die Chilkott besitzt die poetische Kraft, mit der ganzen zierlichen Person für einen Text und eine Melodie zu stehen, mit stimmlichem und figürlichem Charme.

Da waren sie also, die alten Texte, die traurig oder bitterböse, empört oder zuversichtlich machen. Immer noch, immer wieder. „Erst kommt das Fressen und dann die Moral!“, singt sie. „Denn wodurch lebt der Mensch… daß er so gründlich vergessen kann, daß er ein Mensch doch ist.“ Bei Schiller klingt das übrigens feiner, meint aber dasselbe, wenn der über die „Würde des Menschen“ schreibt: „Nichts mehr davon, ich bitt euch./ Zu essen gebt ihm, zu wohnen,/ Habt ihr die Blöße bedeckt,/ gibt sich die Würde von selbst.“

Die Stimme lebt mit diesen Texten, auch wenn es manchmal ein wenig viel der Deklamation war. Aber irgendwie muss man sich absetzen von der Vielzahl der Interpreten. Die Augen schließend hört man manchmal die May. Die konnte den Surabaya-Johnny auch so herrlich anspucken: „Nimm doch die Pfeife aus dem Maul, du Hund!“ Welche Wut. Was für ein Selbstbewusstsein auch.

Dass Bert Brecht Spargel über alles liebte, erfuhr man an diesem Abend nicht. Ist auch unwichtig. Aber dass er einer war, der politisches Denken in Menschlichkeit umzusetzen wusste, hätte man gern erfahren. In seinem Sterbezimmer hing das chinesische Rollbild des Zweiflers. Als müsse sich der Bewohner des Raumes täglich erinnern lassen: „Das Große bleibt groß nicht/ und klein nicht das Kleine“. Oder: „Die wir den Boden bereiten wollten für Freundlichkeit/Konnten selber nicht freundlich sein./Ihr aber, wenn es soweit sein wird/Daß der Mensch dem Menschen ein Helfer ist/ Gedenkt unsrer/Mit Nachsicht.“ 

Wie lange wird`s noch brauchen zu so viel Humanismus und Toleranz gegen die alten Irrtümer? Zurzeit sieht es nicht danach aus, denn wie heißt es im Kanonen-Song? „Für die Armee wird jetzt wieder geworben.“

Barbara Kaiser -15. Mai 2023

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