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Aktuelles Feuilleton

Der Mensch hinter dem Giganten

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Beethoven-Sonderkonzert zur Sommerakademie

Es blieb ganz lange sehr still nach dem letzten Ton. Dann erst gab es den verdienten Applaus für Hinrich Alpers und Harald Schwaiger nach 90 Minuten eines besonderen Konzerts. Der Pianist und der Schauspieler versuchten damit, ihrem Publikum den Menschen Beethoven näher zu bringen. Mit Auszügen aus Briefen und dem „Heiligenstädter Testament“.

Wie stellen wir uns eigentlich die großen Häupter als Normalbürger vor, als Liebhaber gar? Haben wir eine Vorstellung von Goethe, Schiller, Hölderlin als verliebte Jungs? Sie waren jedenfalls dann in der Lage, solch wunderbare Verse zu schreiben wie beispielsweise: „Laß dich, Geliebte, nicht reun, daß du mir so schnell dich ergeben!/ Glaub es, ich denke nicht frech, denke nicht niedrig von dir.“ (Römische Elegien). „Schmetterlingen im Bauch“ klänge da doch viel zu trivial. Und Beethoven, der alte Grantler, war schließlich auch verliebt. Dass er allein blieb, hatte zahlreiche Gründe.

Da ist einer noch keine 32 Jahre alt und schreibt schon solch bittere Worte wie diese: „O ihr Menschen, die ihr mich für feindselig, störrisch oder misanthropisch haltet oder erkläret, wie unrecht tut ihr mir, ihr wißt nicht die geheime Ursache von dem, was euch so scheinet…“

Und: „…es fehlte wenig, und ich endigte selbst mein Leben – nur sie, die Kunst, sie hielt mich zurück, ach, es dünkte mir unmöglich, die Welt eher zu verlassen, bis ich das alles hervorgebracht, wozu ich mich aufgelegt fühlte…“  Armer Beethoven! Das „Heiligenstädter Testament“ ist eines der am meisten berührenden Dokumente der Musikgeschichte; im Oktober 1802 verfasste es der Komponist und bekannte damit seine schlimmer werdende Gehörlosigkeit.

Und dann diese „Unbekannte Geliebte“! Es beschäftigte inzwischen Heerscharen von Musikwissenschaftlern, wer diese Dame eigentlich sei. Beethoven, der 1812 in Teplitz kurte, schrieb die Zeilen an sie. Es ranken sich viele Fragezeichen, den Text aber gibt es. Da Beethoven am Ende unbeweibt blieb, gehört ihm unser Mitgefühl wohl gleich doppelt.

Für das zwei Mal ausgefallene und nun nachgeholte „Winterkonzert“ hat sich Hinrich Alpers den Schauspieler Harald Schwaiger eingeladen. Gemeinsam stellten sie dem Publikum einen anderen Beethoven vor. Wir treffen mit Hilfe von Briefauszügen und Selbstzeugnissen den Komponisten auf der Reise zu seiner sterbenden Mutter, die er „meine beste Freundin“ nennt, wir erfahren, wie er sich zu wehren hatte gegen den unerhört schlampigen Umgang mit dem Urheberrecht, das es praktisch nicht gab, und wir hören des Komponisten Meinung über Goethe. Er teilt die Bettine Bretano mit, für die er wohl eine kleine Schwäche hatte.

Ausgerechnet diese Frau nennt er „mein Engel“ – Goethe sah das anders, denn schließlich nannte die Bretano seine Frau Christiane „tollgewordene Blutwurst“. Das Hausverbot am Frauenplan zu Weimar folgte prompt. Beethoven hat mit ihr offenbar andere Erfahrungen gemacht. Da sich Bettine aber schon ihrem großes Idol Goethe in aufdringlicher Weise annäherte, darf man es bei Beethoven nicht ausschließen. Vielleicht ist dem Maestro eine Menge erspart geblieben…

Die ausgewählten Texte und die Musik wanderten durch das Leben des Komponisten, wie es die Daten und Opus-Zahlen bezeugten. Es war eine Mischung aus Sinnlichkeit und Konzept, heiter, mit Schwung und Delikatesse zelebriert. Am Ende fügte sich alles zu einem eindringlichen Erlebnis.

„Leben kann ich entweder nur ganz mit dir oder gar nicht… ja ich habe beschlossen in der Ferne so lange herum zu irren, bis ich in deine Arme fliegen kann… Deine Liebe macht mich zum Glücklichsten und zum Unglücklichsten zugleich… Mein Engel, mein alles, mein Ich.“ Vielleicht hätte das in einem Ehealltag weniger poetisch geklungen, seien wir froh, dass es nicht dazu kam. So steht dieser Text für den verliebten Mann Beethoven und bringt ihn uns damit ganz nahe. Wo wir manchmal bei seiner Musik vielleicht ohne Verständnis standen.

Die ausgewählten Noten bekräftigten in diesem Lesekonzert die Dokumente nachdrücklich. Der erste Satz der Klaviersonate Nr. 21 C-Dur op. 53 (Waldstein), die Alpers dramatisch, trotzig, fast aggressiv interpretierte, nach dem „Heiligenstädter Testament“, oder das Adagio aus der Nr. 8 c-moll op. 13 (Pathétique) nach dem langen Brief an Bettine Brentano. Außerdem die Bagatellen op. 33 und op. 119,11. Es war eine Melange aus Liebe und Leid, aus Noten und Text. Kongenial dargeboten.

Barbara Kaiser – 16. Juli 2022