Chopin bei Kerzenschein
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Konzertreihe „Junge Pianisten“ wurde nach drei Jahren von Marie Jäschke eröffnet
Sage und schreibe drei Jahre mussten die Liebhaber dieser Konzertreihe warten, bis Armgard von der Wense, die Vorsitzende des Vereins zur Förderung junger Pianisten, die Gäste im Festsaal des Klosters Medingen wieder begrüßen durfte. „Die Musiker brauchen Sie doch als Publikum“, sagte sie, „sie brauchen die Erfahrung, vor Publikum spielen zu dürfen und ob sie mit dem Vortrag die Zuhörer erreichen.“ Nun, erreicht haben dürfte die 1998 geborene Marie Jäschke, Preisträgerin zahlreicher internationaler Wettbewerbe und Masterstudentin bei Matthias Kirschnereit (Bachelorabschluss 2021 an der Hochschule für Musik „Hanns Eisler“ Berlin) an der Hochschule für Musik und Theater Rostock, ihr Publikum bestimmt. Das musste aber dafür unbedingt Hardcore-Chopin-Fan sein!
Denn das „Aber“ für die Einschätzung dieses Konzertabends lautet: Er war recht einseitig. Man sehnte sich nach den vielen chromatischen Endlosläufen, dem Wogen und Schweben im Mazurka- oder Polonaise-Rhythmus und der polnischen Schwermut in Moll heftig nach einer Bachschen Fuge oder meinetwegen nach Beethovens Waldsteinsonate! Ihre Vielseitigkeit, die Marie Jäschke bestimmt besitzt, breitete sie in diesem Konzert – übrigens dem letzten, ehe sie in die Mutterschaft geht – nicht vor ihren Zuhörern aus. Ein paar andere Einblicke in die Musikliteratur und deren Interpretation durch die junge Künstlerin, die technisch furios zu faszinieren wusste, wären sicherlich aufschlussreich gewesen.
So gab es also ausschließlich Werke von Frédéric Chopin, dem unglücklichen, in der Fremde stets von Heimweh geplagten Tonsetzer aus Polen, 1810 bis 1849. Beginnend mit dem Largo des Nocturne op. 27 Nr. 2, Des-Dur, entfaltete Marie Jäschke eine schöne Emphase, ihr Ausdruck und der schöne Drive nehmen für sie ein. Nutzen sich aber über die 90 Konzertminuten auch ein wenig ab. Der Walzer op. 42, As-Dur kommt leicht und fingerflink daher. Die Interpretin ist verspielt, ohne sich zu verheddern, leidenschaftlich, ohne zu renommieren.
Die vielleicht am meisten beeindruckenden Stücke des Abends waren die Etüden op. 25 Nr. 5 und 11, e-moll und a-moll. An keiner Stelle gehetzt und schön phrasiert umkreisen die variierten chromatischen Langläufe ein kleines Motiv. Der Beifall danach war einhellig.
Nach der Pause folgten ein Impromptu in Fis-Dur, die Polonaise op. 40 Nr. 2, c-moll, das Rondeau à la Mazur op. 5, F-Dur und die Ballade Nr. 4 op. 52, f-moll. Da war kein Theaterdonner im Spiel von Marie Jäschke, sondern Innigkeit, ja, Zuneigung zu „ihrem“ Chopin. Welche Geschichte die das Programm abschließende „Ballade“ erzählte, erschloss sich nicht so recht. Es könnte die einer unglücklichen Liebe gewesen sein, dafür war der Komponist ja ebenfalls prädestiniert.
Frédéric Chopin war ein unglücklicher Mensch, der sein Heimatland Polen aus politischen Gründen verließ, in der Fremde aber nie ankam. Obgleich er von seinen Zeitgenossen anerkannt und auch gefördert wurde. Die persönliche Situation spiegelt sich ohne Zweifel in seinen Noten – und so viel Melancholie, Traurigkeit und Heimweh sind 90 Minuten lang für einen Konzertabend einfach ein Quäntchen zu viel.
Barbara Kaiser – 30. Januar 2023