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Aktuelles Feuilleton

Beeindruckendes Kaleidoskop

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24 Mitglieder des Kunstvereins Uelzen stellen eigene Werke aus

Was für ein Feuerwerk! Welch Kaleidoskop für Ideen, Eindrücke und Anregungen! Mal impressionistisch leise, mal expressionistisch laut und bunt, nachdenklich auch. Der Kunstverein Uelzen zeigt vom 30. Oktober bis 04. Dezember 2022 Arbeiten seiner künstlerisch tätigen Mitglieder. Von insgesamt rund 200 Damen und Herren, die sich diesem rührigen Verein verbunden fühlen, beteiligen sich 24 an der Ausstellung. Die Schau im Galerieraum des Kunstvereins im Theaterkeller kann nur sehenswert und auch in ihrer Hängung gelungen genannt werden. Vernissage ist am Sonntag, 30. Oktober, 16 Uhr.

Für diese Besprechung habe ich eine interessante Sequenz im Archiv gefunden: Anlässlich der Vernissage im Jahr 2012 zog Helga Timm-Koltermann, die auch Klinikclown war, die Garderobe von Kunstexpertin Margarethe Arte an und stellte die Frage in den Raum: „Was wären wir ohne Kunst und Kultur?“ Ihre erschreckende Antwort: „Wir hätten nur die Politik und das Wetter.“ Wahrscheinlich ist dieser Satz bedenkenswerter denn je in Zeiten von Krieg und Krisen.

Sophia Bornhagen – Fensterblick

Alle Künstlerinnen und Künstler, ob nun Studierte des Fachs oder nicht, offenbaren ein bemerkenswertes künstlerisches Niveau. Und obgleich ich nicht wieder die Worte vom Dilettanten und Amateur strapazieren will – wobei die ja nie die negative Besetzung hatten, mit der wir sie heute versehen -, darf man, muss man unbedingt anmerken, dass das italienische „dilettare“, das lateinische „delectare“, bedeutet, sich zu erfreuen, zu ergötzen. Und „amator“ ist ein Liebhaber! Also: Es muss von Liebe die Rede sein angesichts der neuen Ausstellung, von der Liebe zum künstlerischen Ausdruck.

Aus 70 Arbeiten hatten die Ausstellungsmacher die Qual der Wahl; herausgekommen ist eine Melange der verschiedenen Stile, Techniken und Formate. Wie bespricht man nun solche Vielfalt? Einen Satz für jeden, das ginge. Würde aber nicht dem gerecht, was auf das Publikum wartet. Schon die einzelnen Biografien wären interessant, die Arbeitsweisen, die Frage, warum gerade dieses Thema  künstlerisch umgesetzt ist…

Ein Versuch: Ein von mir favorisiertes Bild ist das „Uelzen (via Google)“ von Dirk Harms aus Wrestedt. Farbenfrohe, quicklebendige Streifen, eine rhythmisch betonte Liebeserklärung an die Vertikale  – wobei sich nahezu unverzüglich die Frage stellt: Ist Uelzen wirklich so bunt? Unter dem Titel summiert sich eine ganze Reihe, zwei Arbeiten davon sind in der Ausstellung zu sehen. Während das eine auch Natur erahnen lässt und eine lebenswerte Umwelt, ist das andere mit dem Lineal gezogen und technisiert. Vielleicht der neue monströse Busbahnhof-Kreisel in der Innenstadt? Ein Platz, den andere Städte einer Renaturierung zuführten und begrünten. Uelzen betoniert.

Claudia Krieghoff-Fraatz – Es war einmal ein schöner Ort

Eine zweite Arbeit, die meine Sympathie hat, ist die von Claudia Krieghoff-Fraatz: „Es war einmal ein schöner Ort….“. Ein zartes Aquarell zeigt unverkennbar Schloss Holdenstedt. Die Fenster vernagelt, die Fassade schief. Es fällt einem dazu eine Textzeile aus dem alten Studentenlied über die verfallenen Burgen „an der Saale hellem Strande“ ein: „Ihre Dächer sind zerfallen und der Wind streift durch die Hallen…“. Das Bild erzählt die Geschichte einer möglichen Zukunft. Denn tut sich was am Schloss, das die Stadt hergab für den schnöden Mammon und auf das kulturelle Zentrum, das es war, pfiff?

„Menschliche Gesellschaft mit einem kulturellen Mindestanspruch ist auf Kunst angewiesen“, zeigte sich der Zeichner Harald Kretzschmar überzeugt in seiner Laudatio zum 250. Geburtstag der Hochschule für Grafik und Buchkunst Leipzig im Jahr 2014. „Um Ausdruck zu finden, zu kommunizieren, um Leben zu gestalten.“ Und genau das machen die Bilder: Sie finden den eigenen Ausdruck für Situationen, Eindrücke, Gefühle, Erlebnisse; sie gestalten und versuchen, mit den Betrachtern zu kommunizieren. Dass das mal mehr und mal weniger gelingt, mindert Anliegen und Wert der Ausstellung nicht.

So blicken wir mit Kerstin Sørensen aus Eimke über die blühende Heide in Ellerndorf und sitzen mit Sophia Bornhagen am Fenster, das sich in eine winterliche Landschaft öffnet. Das aufgeschlagene Buch kurz beiseitegelegt, die Stille genießend. „Sehnsucht nach Stille“ hat auch Gudrun Witte, die einen Birkenwald malte, der Tschechow`sche Dramen zu illustrieren im Stande wäre.

Kerstin Sörensen – Heidelandschaft

Das Bild „Warten im Regen“ von Yvonne Sommerfeld-Klinge erinnert mich an die russische Künstlerin Renata Tumarowa, die vor zehn Jahren im Kunstverein ausstellte und die Besucher faszinierte mit ihren Varianten von Regenwetter. Die Künstlerin war geboren in Leningrad, einer Stadt, in der es oft regnen würde, wie sie sagte. Den Zauber von damals wiederholt die Arbeit in der Kunstvereinsgalerie.

YvonneSommerfeld-Klinge – Warten im Regen

„Kunst ist der Traum, den wir nach bösem Erwachen nötig haben.“ Das war die Meinung von Samuel Beckett, dem Literaturnobelpreisträger und Dichter der Sinnleere und des Nichts. Für das „böse Erwachen“ brauchen  wir heutigentags nur die aktuellen Nachrichten. Und für die Kunst? Muße, Zeit, Besinnung – eben das, was uns rettet aus dem Hamsterrad Alltag.

Die Werke der Ausstellenden sind all das. Marlies Kahn erzählte mir einmal, sie wolle sich mit ihren Bildern wohlfühlen und erhoffe das auch vom Betrachter. In diesem Jahr hat sie zwei Bilder „Am Meer“ mitgebracht. Da ist Wohlfühlen für die meisten programmiert.

Die Ausstellung ist eine große Kramkiste. Buntes, das schmückt und tröstet. Bilder und Formen von fernen Träumen und Imaginationen. Lustvoll. Vital. Farbschwelgerisch. Neben den geläufigen Namen, die jeder interessierte Ausstellungsbesucher im Landkreis kennt, gibt es auch viele Arbeiten von eher Unbekannten.

Alle Bilder aber sind auf der Suche nach einem seelischen Gehalt, den es in Form zu bringen gilt. Und weil Kunst das Leben des Menschen wenn schon nicht verändert, so doch bereichern sollte, wird jedes Aquarell, jede Graphik, jede Fotografie oder Collage ein Pendant finden unter den Betrachtern. Einen, der sich darin erkennt, der etwas damit anzufangen weiß, weil es seiner Ansicht, seiner Erfahrung, seinem Leben entspricht.

„Kunst ist für den Menschen genauso ein Bedürfnis wie essen und trinken“, war sich Fjodor Dostojewskij sicher. Für die 24 Ausstellenden ist das so. Der Kunstverein Uelzen pflegt die schöne Tradition, in deren Linie er seit vielen Jahren Arbeiten seiner malenden, fotografierenden, modellierenden und anderweitig tätigen Mitglieder ausstellt.

Am Schluss passt in diesem Zusammenhang wieder einmal Friedrich Schiller zu zitieren, der der Kunst folgende Wirkung zuschrieb: „Was ich ohne dich wäre, ich weiß es nicht; aber mir grauet,/Seh` ich, was ohne dich Hundert` und Tausende sind.“ Viele der Bilder hinterlassen ein Nachleuchten zwischen Spannung und Stille. Eine wahrhaft gelungene Exposition.

P.S. Es gibt ein großes Aber: Leider hat die Stadtverwaltung trotz anderslautender Absprachen (!) mit dem Kunstverein den Galerieraum, der schon immer ein Galerieraum war und kein Restaurant, mit klobigen Sitzecken und einer Theke bestückt. Das ist für Ausstellungskonzeptionen ein No-go und gehört dringend nachverhandelt!

Barbara Kaiser – 27. Oktober 2022

 

 

 

 

 

 

 

 

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