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Feuilleton

Ausgezeichnet – Jahrmarkttheater Bostelwiebeck erhält den Theaterpreis des Bundes

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Es gab dramatische Umsatzeinbrüche in der Kultur- und Kreativwirtschaft in der Pandemiezeit; das ermittelten die Wissenschaftlichen Dienste des Bundestages. Insgesamt, heißt es in einem Gutachten, seien die Umsätze um 30 Milliarden Euro zurückgegangen, das ist auf manchen Gebieten ein Minus von 69 Prozent. Und während Solisten und Ensembles, Theater und Orchester ums Überleben kämpften, konnten wir Zuschauer uns bequem auf der Couch zurücklehnen und die verzweifelten Onlineangebote der Kulturschaffenden konsumieren. Es ist der Albtraum schlechthin, dass man sich daran gewöhnt haben könnte.

Vielleicht hat sich die Bundesregierung auch deshalb entschlossen, mit vielen Millionen das Projekt „Kultur macht stark“, das Kinder an Theater und Musik im weitesten Sinne heranführen soll, in diesem Jahr besonders zu fördern. Und der renommierte Theaterpreis wurde in diesem Juni das vierte Mal verliehen.

Wer die Akteure des Jahrmarkttheaters Bostelwiebeck von Beginn an kennt, ist deshalb nicht überrascht, dass Thomas Matschoß und Anja Imig (seit geraumer Zeit unterstützt von Andrea Hingst) zu den Ausgezeichneten gehören. Zu den elf Siegern, die aus 76 Bewerbungen erwählt wurden. Das stattliche Preisgeld von 75000 Euro sollte ein klein bisschen Sicherheit bringen, das auch Kreative brauchen. Damit sie nicht gehetzt ums Brot schreiben und arbeiten müssen. Wie Schiller zum Beispiel oder Hölderlin.

Inmitten des diesjährigen Sommerprogramms, dem „Zeltplatz der Zivilisation“, und kurz vor der Premiere von „Patience Camp“ (29. Juli) erhält das Jahrmarkttheater für seine Arbeit diesen Preis. Eine von Kulturstaatsministerin Monika Grütters berufene Fachjury hat entschieden. Mit dem Preis würdigt der Bund kleine und mittlere Theater, die mit ihren Produktionen als herausragende kulturelle Angebote in die Gesellschaft hineinwirken.

In der Jury-Begründung heißt es: „Das Jahrmarkttheater sammelt die Themen auf der Dorfstraße, verarbeitet sie und lockt ein überregionales Publikum an. Es gelingt Andrea Hingst, Anja Imig und Thomas Matschoß ihre Nachbar:innen zu verführen, sich auf zeitgenössische Formate und Formen einzulassen, vertraute Pfade zu verlassen, sich der Lust am Spiel und der Erfindung neuer Welten zu überlassen. Das Jahrmarkttheater füllt mit Selbstironie, Spielspaß, Mut und großer Konsequenz den Begriff ‚Volkstheater‘ mit neuem Leben.“

 

Dem ist eigentlich nichts hinzuzufügen! Weil auch der Name „Jahrmarkttheater“ von Anfang an bewies, woher die Gattung kam: Von den Bühnen, die auf den Marktplätzen aufgebaut waren, wo der Hanswurst das Volk zum Lachen, Weinen und Nachdenken brachte. Wo sich mancher ertappt fühlen konnte und wo schrill und bunt ins Leben gegriffen wurde.

Das Ensemble um Thomas Matschoß fühlte sich von Beginn an dem adligen Hoftheater eher weniger verpflichtet, obgleich es seinen Einstand mit Shakespeares „Was ihr wollt“ gab. (Aber der Dichter hat ja oft auch eine Ebene aus dem Volk in seinen Dramen, in den Lustspielen sowieso.) Diese Premiere vor 12 Jahren war unvergleichlich! Schauspielerisch auf hohem Niveau, musikalisch anrührend, umwerfend komisch allemal, in einer Ausstattung, die staunen machte.

Nach der Nominierung für den George Tabori-Preis 2016 ist der „Theaterpreis“ erneuter Beweis und Anerkennung für das hohe Ansehen, das das Jahrmarkttheater genießt. Inzwischen haben Matschoß und sein Team die unterschiedlichsten Veranstaltungsformate entwickelt, denen manchmal eine gewisse Verwegenheit nicht abzusprechen ist, denen jedoch immer die Freude an der Arbeit immanent bleibt. Und eine Ehrlichkeit beim Geschichten-Erzählen, die das Publikum überzeugt und an Aufführungsort und Ensemble bindet.

Am 8. Juli nehmen Andrea Hingst, Anja Imig und Thomas Matschoß den Preis in Berlin entgegen.
Herzlichen Glückwunsch!

Barbara Kaiser – 30. Juni 2021

 
 

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