Auf klassischen Versfüßen
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Markus Maria Winkler würdigte den Dichter und Minister Goethe
Manchmal bin ich versucht, Schüler höherer Klassen nach Goethe zu fragen. Was wissen die jungen Leute über den Alten aus Weimar? Ja gut, er war in Frankfurt geboren – aber wann? Er hatte in Leipzig studiert und in Straßburg, in Wetzlar den juristischen Einstieg versucht. Überall hat er gebrochene Herzen hinterlassen: Lilly, Kätchen, Friederike, Charlotte. Werthers Lotte! Würden die Jungen von heute jetzt aufhorchen?
Meine alte Deutschlehrerin schrieb, als der Abschnitt Klassische deutsche Literatur im Unterricht auf dem Plan stand, vier Daten an die Tafel und sagte dazu: Das sind die einzigen, von denen ich erwarte, dass Sie sie abrufbereit haben. Andere kann man nachschlagen (nicht googeln!). Es waren die Daten 28. August 1749, 10. November 1759, 22. März 1832 und 9. Mai 1805. Richtig! Die Lebensdaten von Johann Wolfgang Goethe und Friedrich Schiller. Und ich musste für diesen Text nicht nachschlagen – ich weiß sie nach Jahrzehnten noch. Und: Damals fing eine große Liebe an.
Ach, der Goethe. Eigentlich ist mir Schiller ja näher. Er hatte das viel schwierigere Leben, das kürzere auch. Goethe wurde immer in Watte gewickelt. Der Vater unterrichtete ihn mit Schwester Cornelia. Schiller wurde auf die Karlsschule geschickt, wo es darum ging, Rekruten zu züchten. Goethes erster literarischer Erfolg brachte ihm am Ende die Stellung in Weimar ein. Für Schiller war dort eigentlich kein Platz, er schrieb immer ums Brot. Auch die Jenaer Professur war undotiert. (Versuchen Sie das heute mal bei Hochschullehrern!)
Wer die meisten und besten geflügelten Wörter ersann, soll hier nicht gebeckmessert werden, da standen sie, als es endlich gefunkt hatte zwischen ihnen, in einem fruchtbaren Wettbewerb. Auch die meisten Balladen verdanken sich diesem Wettstreit.
Und damit sind wir beim Programm, das der Spielplan des Neuen Schauspielhauses an der Rosenmauer vorsah: Ein Goethe-Abend! Herrlich! Mal einer, der sich traut. Markus Maria Winkler traute sich und nahm seine Zuhörer*innen mit auf einen Lebensweg, der immerhin 82 Jahre lang war. Ich hatte mich auf diese Veranstaltung wirklich gefreut. Das Resümee allerdings fällt eher ernüchternd aus:
Markus Maria Winkler, 1975 in Wilhelmshaven geboren, arbeitete sich an den Lebensdaten des Dichters ab, leider meist recht uninspiriert und mit Wikipedia-O-Ton, was auffällig deckungsgleich bei der Erklärung des „Erlkönig“ der Fall war. Oder er trug die Quellen vor, wie beispielsweise beim Auftakt aus `Dichtung und Wahrheit`: „Am 28. August 1749, mittags mit dem Glockenschlage zwölf, kam ich in Frankfurt am Main auf die Welt…“
Nun kann ich hier gut klugscheißen (pardon) als in Jena studierte Germanistin mit dem inzwischen lebenslangen Lieblingsthema Weimarer Klassik, aber wenn man sich eines Großen annimmt, ihn einem Publikum nahezubringen wünscht, dann muss eigentlich mehr Empathie im Spiele sein. Ein wenig mehr Eigenes in den Texten auch.
Winklers Goethe ist der aus dem Lehrbuch, kaum der Mensch. Der nicht immer unumstritten war in seinem warmen Nest, in dem er alle seine Bewunderer und ihm Nahestehende rücksichtslos für sich einspannte. Erst Christiane, seine Frau, später seinen Sohn August. Er benutzte seine Wegbegleiter und ließ sie fallen, fanden sich andere. Charlotte von Stein wusste ein Lied davon zu singen.
Markus Maria Winklers Vortrag, bei dem er fatal dem Konzept verhaftet blieb und kaum den Blick ins Publikum fand, kam sehr glatt daher. Keine Episode, keine Anekdote. Tabellarischer Lebenslauf sozusagen. Und es gab falsche Fakten. Beispiel: Goethe hätte das Gedicht „Gefunden“ seiner Christiane zum 25. Hochzeitstag geschrieben. Sie wissen schon: „Ich ging im Walde so für mich hin….“. Kennengelernt haben sich die Beiden 1786, geheiratet aber erst 1806, nachdem Christiane sich tapfer vor den Hausherrn gestellt hatte, als französischen Soldaten nach der Schlacht von Jena und Auerstedt plündernd auch in Weimar einfielen. Geschrieben wurde „Gefunden“ 1813 – da ergibt sich nirgendwo eine Zahl 25. Im Jahr 1816 starb Christiane, wenige Tage nach ihrem 51. Geburtstag. Goethe meldete sich auch zu ihrer Beerdigung krank. Wie schon zu der Schillers. Immer wenn es schwierig wurde, konnte man auf ihn nicht zählen. Das alles thematisiert Winkler nicht. Genauso wenig das politische Umfeld dieser bewegten Zeit. Während Schiller Ehrenbürger der Französischen Republik wurde, hielt sich der Geheime Rat, später Staatsminister, raus. Seine Kreise durfte niemand stören.
Am Ende ein Wort zur Rezitation Markus Maria Winklers, deren Intention man nicht immer teilen musste. Zusätzlich balancierte die mit der immer gleichen Satzmelodie sehr hart auf der Grenze zum Lächerlichen, vor allem beim „Erlkönig“, dem „Zauberlehrling“ oder dem Faust-Monolog und der sich anschließenden ersten Begegnung mit Mephisto (Faust I, 1. Akt). Hier imaginierte die Stimme nichts, kaum eine Stimmung, keine Verheißung. Dass der Schauspieler nicht ohne sein Konzept zu deklamieren wusste und bei der Sprechkultur Luft nach oben blieb, machte die Sache zusätzlich schwierig. Der Rezitator stolperte durch die klassischen Versfüße und es holperte, wenn er sich nicht an den Text hielt.
Summe: Vielleicht war es ein Glück, dass dem Abend keine jungen Leute beiwohnten – denn die hätten den Dichter für sich abgehakt. Bei denen heißt es also weiterhin „Fack you Göthe – 1ff“! Schade.
Barbara Kaiser – 05. November 2023