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Aktuelles Feuilleton

Zwischen laut und leise

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Faszinierendes Konzert des Kammerorchesters Uelzen mit Solisten in St. Marien

Ein andere Einschätzung als „gelungen“ verböte sich nach diesen zwei Stunden Konzert, für die Heiko Schlegel die Extreme „Laut“ und „Leise“ zum Thema erhob. Der Orchesterleiter sparte sich dieses Mal größere, wortreiche Ansagen, sondern warf nur ein paar Wort-Kontrapunkte ins Publikum. Als da wären: Piano – Forte, Trompete – Gitarre, Frühklassik – Moderne, gerader Takt – ungerader Takt, Männer – Frauen.

Dabei war es, wie man meinen könnte, gar kein Konzert der Gegensätze, sondern eine Melange zwischen Frühbarock und 20. Jahrhundert. Und im Auftritt, den Leistungen, dem musikalischen Verständnis gab es schon gar keine Gegensätze. Das ist ja das Schöne am Kammerorchester Uelzen und seinem Leiter: Die werden mit den Jahren immer besser. Und das Programm ist stets eine Überraschung und hangelt sich an einem roten Faden entlang. Vor allem jedoch: Man erlebt als Zuhörer ambitionierte Spielfreude, wie man sie bei manch sattem Profi manchmal schon vermissen kann.

Christian Gerber

Das Konzert in St. Marien begann mit der Sonata pian` e forte von Giovanni Gabrieli (1554 bis 1612). Im Jahr 1597 in Venedig entstanden, verdankt sie ihren Namen und ihre Bekanntheit nicht zuletzt der Tatsache, dass sie als eine der ersten Kompositionen überhaupt Angaben zur Dynamik im Notentext enthält. Heiko Schlegel hatte die Holz- und Blechbläser an der Seite des Kirchenschiffs postiert, die Streicher vorn. Leider saß ich absolut falsch für diese Aufteilung, sodass mir das Blech direkt ins Ohr posaunte und für mich die Streicher untergingen. Auf jeden Fall aber setzte Schlegel deutliche und energische Akzente und Einsätze, sodass über die Entfernung die Kongruenz der beiden Instrumentengruppen immer besser wurde. Und frühbarocke Musik – es sind immerhin noch fast 100 Jahre bis Bach – ist eben einfach schön.

Danach das Trompetenkonzert Es-Dur des in Prag geborenen Johann Baptist Neruda (1708 bis 1780). Das Soloinstrument spielte der erst 16-jährige Florin Hartig. Es-Dur ist ja eine schöne Jubeltonart. Beethoven schrieb sein 5. Klavierkonzert darin. Und so kamen die Allegri von Satz eins und drei ausgelassen, fröhlich und galant daher. Das Largo in Satz zwei schwebte durch das Kirchenschiff, klar und schön. Die wenigen Patzer war man gerne bereit zu überhören, der Solist blies ansonsten einen viel versprechenden Ansatz. Die Summe ergab Engelsgesang.

Heiko Schlegel

Die einzige Frau in der Komponistenreihe des Abends steuerte wirklich einen Kontrapunkt bei. Polnische Moderne von Grazyna Bacewicz (1909 bis 1969); es erklang das Divertimento für Streichorchester. Das war ein hochinteressantes Hörerlebnis, immer mit einer kleinen Dissonanz im Hintergrund und einem tieftraurigen Adagio, das ratlos suchend umherirrte. Das Ensemble arbeitete sehr diszipliniert, der Mann am Pult vermochte die schwierige Partitur zusammenzuhalten. Bravo!

Vor der Pause mit dem Konzert für Gitarre und Orchester (Tsunami) des Franzosen Mathias Duplessy noch einmal Neue Musik. Der 1972 Geborene komponierte bereits mit sechs Jahren und experimentiert mit Weltmusik. Das Konzert entstand offenbar nach der verheerenden Flut 2004 in Südostasien. Oder nach Fukushima – wer weiß es. Jedenfalls vergaß man in der Aufführung mit dem Kammerorchester, das sich jetzt wieder mit allen Bläsern verstärkte, das Luftholen vor Erregung. Die ganze Macht des glitzernden Meeres; schön und grausam. Das Spiel verteilte sich in aufregenden Achteln über alle Instrumente, Simon Gutfleisch hielt mit seiner Gitarre gegen das ganze Orchester. Bis das Stück nicht ausklang, sondern einfach aufhörte. Nach dem finalen Crash. Atemberaubend!

Florin Hartig

Mit Astor Piazolla (1921 bis 1992) wurde es populärer. Christian Gerber mit seinem Bandoneón verbeugte sich gemeinsam mit Simon Gutfleisch vor dem Meister des Tango. Im Double Concerto für Gitarre, Bandoneón und Streichorchester war ein Sehnen, eine Innigkeit, ein Schwung, dass man niederknien mochte. Das Orchester grundierte die Soli zum Wohlfühlsound bis in den rassigen Tango von Satz drei, den sich das Publikum unverzüglich als Zugabe erklatschte. Das wunderbar gefühlvolle Miteinander war an keiner Stelle falsch sentimental, sondern hatte Klasse.

Den Abschluss des Abends (es war der Samstagabend, eine Wiederholung gab es Sonntag) bildete ein romantischer Drive in Form der Bühnenmusik-Suite zu Shakespeares „Viel Lärm um nichts“ von Erich Wolfgang Korngold (1887 bis 1957). Ouvertüre, Mädchen im Brautgemach, Holzapfel und Schlehwein, Intermezzo und Mummenschanz hießen die Abschnitte, die bereits die geballte Ladung Hollywood Filmmusik vorausahnen lassen. Zwischen Träumereien und lauter, fröhlicher Vielstimmigkeit fand das Kammerorchester einen ausgelassenen Abschluss. Es war ein Konzertabend, der wuchtige Ausrufezeichen setzte, nie betulich war und Erkenntnisgewinn generierte. „Es macht so viel Freude“, hatte Dr. Theodor Elster, der die Bratsche spielt, vorab im Gespräch gesagt. Wie Recht er hat!

Barbara Kaiser – 02. Oktober 2022

Simon Gutfleisch