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Zur Besinnung kommen

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60 Minuten Passionskonzert in St. Marien

Man hetzt und rennt ja weiter trotz aller Vorsätze, doch endlich einmal der Sache mit der Fastenzeit einen Inhalt zu geben. Mal weniger Süßes, mal einen Tag das Smartphone aus. Die Alkoholabstinenz muss ich mir nicht vornehmen, ich trinke sowieso nur mit Gästen. Deshalb bin ich Kantor Erik Matz eigentlich jedes Jahr aufs Neue dankbar, dass er zum Passionskonzert einlädt. An dieser Stelle wurden in St. Marien schon ganze Passionen aufgeführt. Vor ein paar Jahren gab es ein Passions-Tripel, drei Konzerte unterschiedlicher Art. In diesem Jahr blieb es schlichter: Matz saß an der Orgel, Pastorin Iris Junge rezitierte passende Texte.

Es ist in  diesem Jahr auch Zufall, dass der Ramadan in die christliche Fastenzeit fällt. Kürzlich sprach eine Kirchenfrau im Radio dazu und über ihre Erkundungen bei Moslems und Christen. Das Ergebnis war keineswegs überraschend, denn alle Vertreter aus den doch so unterschiedlichen Konfessionen sprachen davon, dass diese Zeit ihnen Ruhe gäbe, Innehalten ermögliche und Nachdenken anschöbe. Vielleicht ließe sich daraus einmal Begegnung machen? Wenn der Ramadan wieder in die 40 Tage fällt? Es wird noch eine Weile Zeit bleiben bis dahin…

Die 60 Minuten Passionskonzert in St. Marien 2024 sah eine recht große Zuhörerzahl, bedenkt man das schöne Wetter und das kleine Format. Offenbar ist das Bedürfnis nach Einkehr doch ganz schön groß; gerade in diesen unruhigen, beängstigenden Zeiten. Die Texte aus dem Matthäus- und Lukasevangelium sprachen auch über das Versagen von uns Menschen – wie groß ist doch unsere Unfähigkeit, Frieden zu schaffen derzeit? Denn: „Das Volk stand da und sah zu.“ Vorab gab es die immer gültige Warnung: „Wer das Schwert nimmt, wird durch das Schwert umkommen.“

„Wenn mir am allerbängsten/ wird um das Herze sein,/ so reiß mich aus den Ängsten/ kraft deiner Angst und Pein“, dichtete Paul Gerhard im 17. Jahrhundert. Iris Junge rezitierte den Text dieses alten Kirchenliedes. Sollten wir uns so sehr verlassen auf einen Menschen, der nach der Überlieferung an der Seite Gottes sitzt, an dessen Tod wir aber nicht unschuldig sind? Und so ist Passionszeit auch eigenes Befragen.

Erik Matz begleitete die Stunde mit Noten von Max Reger, Charles-Marie Widor, Louis Vièrne und – natürlich – Johann Sebastian Bach. Dieses Konzert verlangt nicht nach einer Konzertkritik, sein Anliegen war ja ein anderes. Es kamen getragene Noten zu Gehör, die der Zeit gerecht wurden. Erst bei Louis Vièrnes Fantasiestücken op. 51 wurde es optimistischer, allerdings schräg-dissonant. Das Ende jedoch war Überwältigung, Staunen und Kraft: Bachs Präludium und Fuge a-moll BWV 543. Der Mann an der Orgel forcierte nicht übermütig und hielt das Stück so durchsichtig, dass das Hauptthema gerade noch hörbar blieb. Gewaltige Schlussakkorde – atemlose Stille. Es war eine beeindruckende, anrührende Stunde, die man sich viel öfter gönnen müsste.

Barbara Kaiser – 18. März 2024