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Allgemein Feuilleton

Grundton: Ausgelassen – Wendland-Sinfonieorchester spielte im Bevenser Kurhaus sein Neujahrskonzert

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Ein Neujahrskonzert, das nicht abgesagt wurde! Welche Wohltat, welcher Mut! Großer Dank dem Kulturverein Bad Bevensen und dem Wendland-Sinfonieorchester (W.S.O.). Zwar begann der Abend mit reichlich 20 Minuten Verspätung, weil die Prozeduren am Einlass eben doch zeitraubend sind (man hätte die Besucher im Vorfeld darauf aufmerksam machen müssen) und keiner auf seine obligatorische Begrüßungsrede verzichten wollte, aber der Saal des Kurhauses war am Ende sehr gut besetzt.

Auf dem Programmzettel als Ouvertüre und zum Aufwärmen ein Johann-Strauß-Walzer. Danach der Solist des Abends, am Violoncello Joel Blido. Als krönender Abschluss nach der Pause, als verspätete Geburtstagsgratulation sozusagen, Ludwig van Beethoven und dessen siebte Sinfonie. Am Dirigentenpult stand Niklas Benjamin Hoffmann.

„An der schönen blauen Donau“ an den Anfang zu setzen, spricht für Selbstbewusstsein. Gehören doch die ersten leisen Töne ausgerechnet den Hörnern, dieser sensiblen Stelle eines jeden Orchesters. Natürlich kam das Entree auch beim W.S.O. nicht lupenrein daher, aber der Wiener Schwung riss sowieso bald alle mit, sodass man am Ende auch dem Blech die tonalen Fehltritte verzieh.

Die Überraschung des Abends war wohl das Konzert für Violoncello und Blasorchester – eine Paarung, die kaum einer als selbstverständlich anerkennte – von Friedrich Gulda (1930 bis 2000). Von Hause aus Pianist war Gulda offensichtlich auch für jeden Spaß zu haben, denn um nichts anderes als einen Scherz handelt es sich bei diesem Stück. Gott würfele nicht, war sich Albert Einstein sicher. Musiker würfeln offenbar sehr wohl: Gulda in diesem Falle quer durch die Musikstile.

Es war eine Verrücktheit, eine launige Ausgeburt, eine Offenbarung, was da von der Bühne kam: Ein wenig Funk, ein bisschen Groove, eine Prise Jazz im ersten Satz (Ouvertüre). Ein Ländler mit diesmal sanften Bläsern im zweiten; es fehlten nur die Kuhglocken (Idylle). Kapriziös, furios und sehr souverän dann das Soloinstrument in der „Cadenza“, der Kadenz, des dritten Satzes. Zwischen zärtlich-spanischer Canzone und Militärblechradau, jedes Zapfenstreichs würdig. Das „Menuett“ des vierten Satzes erledigte sich fast nebenbei, ehe das „Finale alla Marcia“ losbrach.

Es ist unglaublich, wie der Dirigent das Cello und die Tuba und alle Bläser unter einen Hut zu bringen verstand. Der 23-jährige Joel Blido strich und zupfte sein Instrument zum Anbeten schön. Und alle zusammen zwinkerten sie Jacques Offenbach und dessen „Concerto Militaire“ zu; in spritziger Leichtigkeit, als großer Zirkus. Es war eines Neujahrskonzerts angemessen, ein bisschen Fröhlichkeit und Zuversicht zu versprühen. Zumal in diesen Zeiten.

Danach der Beethoven. Die Nummer Sieben. Diese Anti-Napoleon-Musik. War die dritte Sinfonie, die „Eroica“, auf Bonaparte komponiert, so ist das A-Dur der siebten gegen den französischen Usurpator zu denken. Die ersten Skizzen finden sich bereits im Jahr 1806 – es ist die Fixierung eines a-moll-Trauerstücks. Zwischen der Schlacht von Austerlitz 1805, in der die französische Arme die Allianz der Österreicher und Russen besiegte, und der Schlacht von Jena und Auerstedt 1806, wo Napoleon den Preußen die vernichtende Niederlage beibrachte, kam es auch zum bekannten Eklat zwischen Beethoven und seinem Gönner Fürst Lichnowsky, als sich der Komponist weigerte, vor französischen Offizieren zu spielen. Nach der Nachricht von Frankreichs neuestem Sieg bei Jena fiel auch das Wort: „Schade, dass ich die Kriegskunst nicht so verstehe wie die Tonkunst, ich würde ihn doch besiegen.“ Bis zu diesem Sieg sollten dann noch fast zehn Jahre vergehen, die ganz andere Allianzen schmiedeten…

Beethoven begann mit dem Klavierkonzert Nr. 5 (1808/09) seine patriotischen Kompositionen. Im Jahr 1810 die Musik zu Goethes „Egmont“ op. 84, 1811/12 die A-Dur-Sinfonie Nr. 7 op. 92, 1813 „Wellingtons Sieg oder Die Schlacht bei Vittoria“ op. 91.

Und so wie diese Musiken gemeint waren, wurden sie vom Publikum auch aufgenommen. „Die Jubelausbrüche während der A-Dur-Sinfonie … überstiegen alles, was man bis dahin im Konzertsaal erlebt hatte“, schrieb ein Kritiker. Und auch Schüler Czerny bezeugte, dass das Werk den „damaligen Zeitereignissen“ sein Entstehen, seinen Schwung und seine patriotische Begeisterung verdanke. Bloß Richard Wagner, der es hätte besser wissen können, schließlich stand er 35 Jahre später in Dresden selber auf den Barrikaden, fantasierte etwas von „Apotheose des Tanzes“. Nein, die siebte Sinfonie ist programmatisch, sie ist ein Appell. Die weitausgreifende Introduktion genauso wie der streng durchgehaltene Takt im ersten Satz, das Schrittmotiv von Satz zwei, der Dreivierteltakt des Scherzo und das synkopische, mitreißende Finale.

Das W.S.O. begann sehr entschieden, forsch und zügig. Man durfte sich fragen, ob die Körner für die Spannung aller vier Sätze reichen würden. Die Musiker kreierten schöne Gegensätze zwischen Ausbruch und filigraner Fragilität. Sie musizierten munter, mit sichtbarer Freude am Spiel. Hielten sich akkurat in den Abschlüssen. Beethovens Musik, die Sinfonien vor allem, lebt ja oft von den manchmal endlos scheinenden Wiederholungen. Hier fehlte es dem W.S.O. manchmal am langen Atem, an der Spannung, vor allem im wunderbaren Trauermarsch des zweiten Satzes. Und die Ausgelassenheit von Satz vier war manchmal eher das Gewitter der „Pastorale“ denn fröhliche Zuversicht.

Ein großer Auftritt war es dennoch, denn das Ensemble hat für ein Projektorchester, das also nicht immer zusammen spielt, einen sehr schönen, kompakten Klang. Es musiziert stets diszipliniert, nie jedoch betulich, Akkorde sind kein Brei, sondern transparente Summe ihrer Töne, die wuchtigen Ausrufezeichen sind niemals nur brachialer Donner.

So endete der Abend für die Musiker, ihren Mann am Pult und für die nach Liveveranstaltungen gierigen Zuhörer erfolgreich und beschwingt. Musik sei der Weg in eine höhere Welt des Wissens, zeigte sich Beethoven überzeugt. Vielleicht überzeugte die kleine Euphorie, mit der jeder den Heimweg antrat, davon, dass auch diese Pandemie irgendwann einmal zu Ende sein wird.

Barbara Kaiser – 05. Januar 2022