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Uelzens Sternviertel im Porträt
In der Mitte ist: „Der Stern“. Der Platz in der Mitte des Uelzener Sternviertels gab selbigem seinen sprechenden Namen, immerhin: Von hier aus streckt das Viertel seine Pfade aus – gen Stadtwald, gen Bahnhof, gen Norden, Süden, Osten, Westen.
Uelzens Sternviertel ist das flächenmäßig größte zusammenhängende Quartier der Hansestadt, mehrheitlich in der Zeit nach 1945 gebaut. Und hier gibt es quasi alles, was das Viertel zu einer kleinen Stadt macht: eine Schule, eine Kirche, ein Krankenhaus, eine Psychiatrische Klinik, mehrere Seniorenheime. Eine Sparkasse, einen Bäcker, eine Tierärztin, einen Zahnarzt und einen Kieferorthopäden, einen Allgemeinmediziner und eine Apotheke. Einen Fahrradladen und eine Baumschule gibt es, eine (heute innerstädtische) Industrieanlage ist als eine von vormals vielen geblieben. Das Albrecht-Thaer-Gelände ist Ort für Veranstaltungen, Kultur und Unterhaltung (so es das denn eines Tages wieder gibt), der Stadtwald als das Naherholungsgebiet für Menschen aus Stadt und Kreis.
Wie das Viertel sich stadthistorisch entwickelt hat, beschreibt Hans Rudolf Mentasti, als ehemaliger Stadtamtsrat in Uelzen für Schulen, Jugend, Sport und Kultur und ehemaliger langjähriger Geschäftsführer des Kulturkreises, in seiner aufwändig und akribisch recherchierten, 2010 erschienenen Broschüre über „Der Stern“. Spannendes ist hier zu erfahren – beispielsweise, dass alle Straßen, die auf den Sternplatz führten, zu ihrem Beginn in den 1920er Jahren als Apfelalleen geplant waren. Heute ist dies in erster Linie noch der Linsingenstraße anzusehen. „Zur Erntezeit musste in den 50er- und 60er-Jahren ein Bediensteter der Stadtverwaltung dafür sorgen, dass die Früchte nicht vorher von Unbefugten ‚geerntet‘ wurden, denn sie sollten zu gegebener Zeit öffentlich versteigert werden“, schreibt Mentasti und ergänzt: „Heute wäre die Stadt froh, wenn die Äpfel gepflückt würden.“
Viel auch sicherlich den langjährigen Bewohnerinnen und Bewohnern des Viertels fördert Mentasti zu Tage: Dass vor der Bebauung in den 1950er und 1960er Jahren die Medingstraße ein Schrebergartenviertel war; oder dass im Bereich rund um die Robert-Koch-Straße damals ausschließlich Angehörige des nahen und 1963 eröffneten (ehemaligen) Bundesgrenzschutz-Standortes Hainberg wohnten.
Das Viertel verändert sich, aber behält doch seine inneren Besonderheiten. Davon kann auch Pastor Ulrich Hillmer berichten, der als Kopf der St. Johannis-Gemeinde „mittendrin“ ist und jeden Tag mit den Menschen im Viertel zu tun hat. „Ich lebe gerne im Sternviertel, weil es hier eine große Toleranz gibt“, sagt er. Die Gründe sieht er dabei darin, „dass dieses Viertel Uelzens noch recht jung ist und damit keine Differenzierung in Alteingesessene und Neuzugezogene geschieht.“ Viele Straßen wurden zeitgleich gebaut, „die Menschen teilten dieselben Lebensumstände. Natürlich sind aus diesen Häusern dann irgendwann die Kinder fortgezogen und die Eltern gestorben, aber vielfach wohnen die Erbauer der Häuser noch beieinander – und so eine lange gemeinsame Nachbarschaft verbindet sehr“, erklärt er das Zusammengehörigkeitsgefühl, das trotz ebenfalls dazu gehörender Fluktuation irgendwie funktioniert.
Anker für viele, gerade die Älteren des Viertels, ist bis heute die Johannis-Kirche. Gerade für viele Menschen, die als Flüchtlinge aus den ehemaligen Ostgebieten kamen, bot die Johannis-Kirche nach ihrem Bau Ende der 1950er Jahre die Möglichkeit, „hier ihr Zuhause zu finden“, so Hillmer, waren sie doch anfangs von den „Einheimischen nur leidlich akzeptiert“: „Die St.-Johannis-Kirche war ‚ihre‘ Kirche, in und mit der sie das Gemeinschaftsleben im Sternviertel ganz maßgeblich prägen konnten: Heimat“, so Hillmer, für den die Gemeinde eine aktive und prägende Rolle über mehr als sechs Jahrzehnte gespielt habe.
Qua seiner Struktur aus unterschiedlichen Wohnräumen – Einfamilien- und Mehrfamilienhäuser, darunter eben auch eine Reihe von „Hochhäusern“ – bietet das Quartier ein Lebensumfeld für alle sozialen Schichten. Ein entscheidender Identitätsfaktor dabei mag der Stadtwald sein, der mit Wildgatter und weit verzweigtem Wegesystem die Menschen anzieht. Überhaupt: Das „Grüne“ prägt das Sternviertel ohnehin. Denn neben dem Stadtwald gibt es hier auch vier Kleingartenvereine mit insgesamt einigen Hundert ganz individuellen Natur-Refugien. Frank Melson ist erster Vorsitzender des Kleingarten-Vereins Wulhop e.V.: „Bei uns haben Menschen jeder Altersgruppe eine Parzelle – die jüngsten sind Anfang 20, das älteste Mitglied ist 86 Jahre alt und hat seit 50 Jahren seinen Garten bei uns.“ Gemeinschaft wird hier gepflegt, mit Sommerfesten, Skatabenden oder auch gemeinsamen Frühjahrsputzen. Vor Corona war das so. Und danach wird es auch wieder so sein. „Zuhause“ zu sein, ändert sich halt nicht.
[Janina Fuge]