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Feuilleton News

Über Heuchler, Betrüger, Demagogen

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Theater Tartuffe Finale

„Theater Poetenpack“ schreibt Molières Finale kurzerhand um

Am Schluss kommt nicht die Polizei und sperrt den Betrüger ein – am Ende tanzt sich Tartuffe unangefochten von der Bühne, frohgemut und mit dem Versprechen – oder sollte man es eher Drohung nennen? – wiederzukehren. „Die Runde ging verloren,/ doch der Sieg ist klar./ Morgen ist Tartuffe wieder da!“ Vorher hatte der bis dahin verblendete und indoktrinierte Orgon noch den verzweifelten Schlachtruf der (west)deutschen Studentenbewegung, die Zeile des Rio-Reiser-Songs, ins Publikum gerufen: „Macht kaputt, was euch kaputt macht!“ Es ist allerdings zu befürchten, dass die Tartuffes dieser Welt sich (noch) als stärker erweisen, dass sie weiterhin täuschen, betrügen, vereinnahmen durch zu einfache Botschaften, deren Unumstößlichkeit für sie feststeht. Bei denen es kein „Aber“ gibt, kein Bunt, keine Zwischentöne, nur Schwarz und Weiß, nur ein Entweder-Oder.

Musik Arne Assmann

Musik Arne Assmann

Das ist aber schon meine Interpretation der Aufführung von Jean Baptiste Molières  „Tartuffe“ durch das Ensemble des Theaters „Poetenpack“ aus Potsdam. Weil es zu schlicht wäre, den Demagogen und Heuchler fürs Happyend abführen zu lassen, beluden uns die Darsteller aus Brandenburg mit ihrer Auffassung. Weil die Zeiten eben unsicher sind, weil die Erklärung dafür an keiner Stelle einfach ist oder man auch gar keine zur Hand hat. Weil man nachdenken sollte, ehe man sich irgendwelchen Rattenfängern ausliefert; trügen die nun Talar, Anzug oder Uniform. Kämen sie in Schwarz, Blau oder schlachtfeldgrau daher.

Die Schauspieler:innen aus Potsdam dienten mit Stimme und Geste dem Text, brachten die fünf Akte Molières auf angenehme 120 Minuten flottes Spiel und verschenkten mit ihrer Inszenierung des „Tartuffe“ dessen Potenzial nicht. Denn: Jedes Spiel ist auch Anspielung – diese Erwartung erfüllten die Gäste. Schon für den 350 Jahre (!) alten Satz „… und predigen Askese stets mit vollem Mund“ oder die Versicherung, dass bei richtiger Auslegung alle Dinge am Ende mit dem eigenen Gewissen in Einklang zu bringen sind, kann man den Dichter heute noch feiern. Auch wenn die Erkenntnis dabei, dass sich die Menschen – und der Mensch sowieso nicht – nie ändern werden, weh tut.

Molière wurde in seiner Zeit für den Spott, den feinen, klugen Witz seiner Stücke geliebt und gehasst. Glaubenseifer und bürgerlicher Kleingeist mögen heute anders heißen, trotzdem ist das Theater des großen Franzosen, an dessen 400. Geburtstag vor zwei Jahren zu erinnern war, im besten Sinne aktuell. Ist ein Spiegel auch heutiger Realität.

Wie verpackte  nun „Poetenpack“ den Text? Bei ihnen blieb „Tartuffe“ Charakterkomödie, war aber auch Jahrmarktspossenspiel, in dem die Akteure schrill hampeln durften. Dazu die Vertonung der alten Texte (wunderbar von Arne Assmann), mal als Erbauungschoral, mal als Rap, mal als Liebesduett (das in einer Operette immer Walzer wäre). Die Show ist genauso stimmig wie die Handlung, die Umsetzung der Geschichte frech, mit erfreulich emanzipiert-selbstbewussten Frauen. Die Aufführung sorgt für genügend Heiterkeit und gute Unterhaltung, ohne zu belehren und zu erklären. Das besorgt der Text ganz alleine. Und weil `lupenrein` keine Kategorie der Kunst ist, vermischen sich durchaus auch Komödie und Tragödie.

Vater Orgon und Tochter Mariane

Vater Orgon und Tochter Mariane

Dem Dichter trug sein Stück im Jahr 1664 heftige Anfeindungen durch den Klerus und mannigfache Verbote ein. Eine getroffene Obrigkeit bellte auf ihre Art. Denn Heuchelei, Scharlatanerie und Lüge gehören dazu, wenn man Macht hat. So war nicht opportun, dass der (negative) Titelheld Tartuffe unter dem Deckmantel der Frömmigkeit nur gierig und berechnend ist, sich Vertrauen, die Hand der Tochter, das Erbe hinterhältig zu erschleichen gewillt ist. Aber die Molière`schen Verse sind erfahrungskluges Demonstrieren der immer gleichen menschlichen Unzulänglichkeiten. Des Dichters Spiegel hat bis heute nichts von seiner Wahrheit eingebüßt!

Das Ensemble war ein erfrischendes, spielfreudiges. Auffallend ein hohes kultiviertes Sprechtempo und  -niveau. Immer füllten die Akteure mit artistischen Gebärden und großem Charisma die Bühne. In der Regie von Kai O. Schubert und der Ausstattung von Janet Kirsten agierten André Kudella als gefährlich siegesbewusster Heuchler Tartuffe, im variablen Kapuzengewand, ein Intrigant mit fanatischen Augen und selbstsicheren Posen. Georg Peetz als von ihm geprellter Orgon ist der einzige Anzugträger, Gegenwärtigkeit symbolisierend. Die anderen Kostüme sind bunt und fantasievoll, sexy auch.

Von den Damen des Hauses ist eine ein Mann: Julia Borgmeier (Gattin Elmire), Hannah Prasse (Tochter Mariane) und Zofe Dorine (Felix Isenbügel); alle drei taff, (lebens)klug, verlässlich in der Front gegen den Feind im eigenen Hause und für eigenen Glücksanspruch.

Es war eine handwerklich und künstlerisch sehr solide Leistung, die diesen Theaterabend ausmachte. Mit tiefer gehender Irritation. So man sie denn zulassen will.

„Die Ungerechtigkeit regiert die Welt. Die Wahrheit ist nur auf der Bühne“, sagte, ja wer wohl – Schiller. Wie sehr Gegenwart und Wahrheit dieses 360 Jahre alte Stück sein kann, blieb die Inszenierung nicht schuldig.

Barbara Kaiser – 10. Februar 2024

Rabiat: André Kudella als Tartuffe

Rabiat: André Kudella als Tartuffe