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Fotos: Barbara Kaiser

Zur Ausstellung des BBK im Kunstverein/Vernissage: Samstag, 18. November 2023, 15 Uhr

„Es gibt zweierlei Arten von Begegnungen, für die man dankbar sein muß“, sagte Alfred Döblin, der Psychiater und Schriftsteller. „Die eine ist die Begegnung mit Menschen, die erfüllen, was wir wünschen und die Fragen beantworten, die wir stellen. Die andere Art: Begegnung mit Menschen, auch mit Büchern, Vorgängen, Bildern, die in uns Wünsche erzeugen und Fragezeichen machen. Das sind Begegnungen, die an den Frühlingsregen in der Wüste erinnern.“  Es kann hier versichert werden, dass die Ausstellung von BBK-Künstler*innen im Kunstverein Uelzen eine Begegnung der zweiten Art ist: Eine, die Fragen zulässt, Erkenntnis verspricht, Unterhaltung auch.

Worum geht es: Der Fotograf Jochen Quast hat 17 Mitglieder des Bundes Bildender Künstler in ihren Ateliers besucht und das Gespräch gesucht. Am Ende entstand eine Fotografie, die dem Besuchten entsprechen sollte. Mit diesem Foto arbeiten die Porträtierten, sie antworten darauf. Auf ihre Art, nach ihrem Verständnis. Ob das so entstandene Bild eine Symbiose wurde oder eine Gegenrede? Auf jeden Fall erforderte die „Begegnung“ – Fotograf/Maler*in – eine Auseinandersetzung, ein intensives Nachdenken.

Ich habe, als Studie quasi, vier Kunstschaffende gefragt: „Wie seid Ihr mit dem Foto, mit dem Ihr Euch einverstanden erklärtet, wie ich von Jochen Quast weiß, umgegangen? Geht man da in sich und resümiert Leben? Oder versucht man eine Annäherung eher formal, dass es am Ende passt?“ Die Antworten waren so unterschiedlich, wie die Menschen selber. Sie waren so überraschend wie erfreulich, weil keiner der Befragten nur in nichtssagenden Stanzen antwortete.

So antwortete zum Beispiel Kerstin Sørensen: „Das Foto von Jochen Quast hat eine neue Perspektive gegeben, man sieht sich plötzlich von der Seite und nicht nur die Malerei.

Kerstin Sörensen

Ich habe dann ziemlich schnell nachgedacht über meine Rolle als Künstler in der Zeit in der wir leben. Es geht für mich immer um unsere Einbindung in die Natur, über die wir uns finden und in der wir uns spiegeln, in dem großen Ganzen, in dem wir ein winziger kleiner und kurzer Teil sind.“

Und wahrscheinlich deshalb lautet die Antwort der Malerin aus Eimke, die viele Jahre in Norwegen lebte, „In der Natur – See in Lappland“. Ein zartes Ölbild, das scheinbar unberührte Landschaft zeigt, nach der man sich sehnen kann.

Der Natur näherte sich auch Renate Schmidt an. Sie sagte: „Mir hat das Foto von Jochen Quast gut gefallen in seiner Art der Distanz und Abgeschiedenheit, dass mir zunächst gar nichts einfiel, was ich hätte antworten können. Aber er hatte mich beim ‚Schnippeln‘ mit Schere und Papier fotografiert, und das ist mein derzeitiges Thema: eine Parallelwelt erschaffen mit eigenen kleinen Kreaturen (aus eigenen Fotos). Und so habe ich mein reales Atelierumfeld erweitert und verändert und eine zweite, von mir geschaffene Natur an deren Stelle gesetzt. Mein Leben habe ich also nicht resümiert, eher mein derzeitiges künstlerisches Projekt in einem Umfeld, das mir am Herzen liegt – die unglaubliche Natur. Aber natürlich ist es auch eine formale Annäherung, weil jedes kleinste Detail seinen richtigen Platz im Bild braucht.“ Renate Schmidt nennt ihr Bild „In meinem Paradies“. In ihm umflattern sie die Blätter und Blüten. Es ist eine noch nicht vergiftete, geschädigte, platt gemachte Umwelt, wie man sie sich offenbar nur im eigenen Garten zu schaffen vermag.

Begegnung – was ist das? Das meint doch immer ein Aufeinandertreffen, das Zwiesprache zulässt, nie einseitiges Erlebnis, Monologisieren ist. Wir begegnen anderen Menschen, die einen unserer Lebensabschnitte füllen oder – laufen vorbei. War es nur ein Date? Ein Rendezvous, was heute kein Mensch mehr sagte, oder eine Liaison für sehr lange? Wir haben inzwischen „Begegnungszentren“ erfunden, in denen man andere, meist „Fremde“, besser kennenlernen soll.

Aus einer Begegnung schöpft man immer neue Kenntnis und Erfahrung, auch wenn sie negativ sein sollten. Manche Begegnungen verändern eigenen Lebenslauf nachhaltig, andere bleiben ohne Echo. Menschliche Begegnungen sollten friedlich sein; leider erzählt die Gegenwart andere Geschichten. Auf jeden Fall wird der Einzelne resümieren, welche Begegnungen ihn bereicherten, welche ihn getragen haben, welche ihn enttäuschten. Spannend ist die Ausstellung auch deshalb, weil Selbst- und Fremdbild nie zu vereinen sind; zwischen ihnen geschieht höchstens ein Spiel der Annäherung.

Unter den 14 Protagonisten, die auf ihre Art der fotografischen Darstellung antworteten, ist auch Claudia Krieghoff-Fraatz. Sie fragte sich angesichts des Titels der Ausstellung sofort: „Wer begegnet wem?“ Im Zweifel begegne auf jeden Fall der Betrachter dem Werk und damit ihr, der Künstlerin. „Da die Aufgabenstellung, auf ein Atelierfoto eine Reaktion zu formulieren, komplett neu für mich war, wollte ich anstatt eines Ölbildes auch etwas für mich mehr oder weniger Neues ausprobieren. So kam diese dreidimensionale Assemblage-Collage, wie ich es mal nennen will, zustande. Ich wollte nicht einfach nur das Werk ausstellen, das auf dem Atelierfoto gerade in Arbeit war.“ So „puzzelte“ sie. Und bekennt: „Jedes Teil in dieser Collage steht für einen Teil meiner Persönlichkeit… Nichts ist zufällig darin, auch der überaus geschmackvolle Rahmen hat seine Bedeutung, hing er doch Jahrzehnte mit einem kitschigen  Billig-Kaufhaus-Waldbild über dem Sofa meiner Großeltern.“

Hier vereinen sich also Persönlichkeit, lebenslange Entwicklung, Vorlieben und Schrullen vielleicht auch. Ich könnte sofort mit der kleinen Katze im Bild etwas anfangen: Auf dem Hof und im Haus von Claudia Krieghoff-Fraatz und ihrem Mann leben zahlreiche Samtpfoten; die Summen, die sie für verletzte oder kranke Tiere ausgab, lassen sich längst nicht mehr beziffern. Und die Südseeschnecke weist auf den zunächst eingeschlagenen Berufsweg, weshalb ich eine nähere Klassifizierung lieber nicht wage, denn Claudia Krieghoff-Fraatz ist studierte Biologin/Zoologin.

„Selbstbefragung“ nannte Georg Lipinsky sein Bild. Er sagt dazu: „Ausgehend von der Situation, die Jochen eingefangen hat, antworte ich mit einer farbigen Collage. Unter einem Farbschleier sind allerlei bildhafte, assoziative Elemente zu erkennen. Der Bezug zu Corona ist offensichtlich. Die grobe schwarze Rahmung korrespondiert mit dem Balkenwerk auf dem Foto. Die Fackel der Aufklärung beleuchtet meinen Favoriten Brecht.“

Georg Lipinsky

Es ist also wirklich Wunderbares herausgekommen unter dem Titel „Begegnungen“. Solche anregenden Ausstellungen sind nicht so häufig. Man sollte mit den Künstler*innen unbedingt ins Gespräch kommen, damit man derlei Aufschluss erfährt, wie er hier zu beschreiben versucht wurde. Die Entscheidung, wie diese Begegnungen für den Betrachter ausgehen, liegt in seiner Bereitschaft, offen zu sein. Dann wird es vielleicht ein Wiedersehen, eine Unterredung eventuell, keinesfalls Störfall oder Konfrontation, auf jeden Fall Gesellschaft, Miteinander, sein…

Zur Ausstellung, die bis 17. Dezember 2023 geöffnet ist, erscheint ein ebenso bemerkenswerter Katalog.

Barbara Kaiser – 15. November 2023

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