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Nicht ohne meinen Trecker!

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Jahrmarkttheater Bostelwiebeck eröffnet die Saison mit dem Stück für Kinder

Es ist der Stoff, aus dem Tragödien wachsen: Trennung. Denke keiner, für Kinder wäre diese Herausforderung einfacher. Wenn es schlimm kommt, nehmen sie daran Schaden fürs Leben. Darüber denkt man – vielleicht – auf dem Heimweg von Bostelwiebeck nach. Das Jahrmarkttheater gibt seinem Publikum nämlich immer Denkaufgaben mit.
Dieses Mal aber kam pure Freude dazu, darüber, dass es endlich wieder losgeht. Coronakonform, klar. Mit Abstand, selbstverständlich. Aber eine Geschichte bekommt man wieder geschenkt. Seit zwölf Jahren nun bereits. Zudem ist bei Thomas Matschoß, Anja Imig und Andrea Hingst nicht zu befürchten, dass nur eine leere Form im Vordergrund steht.
Denn nebenbei: Man mag es irritierend finden, wenn die Gewinnerin des Leipziger Belletristik-Buchpreises als ihr Credo bekannt gibt, dass sie eine Geschichte nie interessiere, nur die Form.
„Trecker kommt mit“ lautet die ultimative Forderung, die nach dem preisgekrönten Kinderbuch (2018) fürs Open-air-Theater in Bostelwiebeck entstand. In der Regie und mit Textergänzungen von Andrea Hingst (Mitarbeit Justine Wiechmann), der Ausstattung von Anja Imig und mit der Musik von Arne Imig spielen Anna Sinkemat (Kind), Ercan Altun (Zukunftsforscher Aaron), Arne Imig  (Sounddesigner) und Herbert Imig (verlässlich auf dem Trecker). Leider wird dieses Mal gar nicht gesungen!
Worum geht`s: Das Kind Anna muss umziehen. In die Stadt. Aber was wird dann aus ihrem Freund, dem Trecker? Es mag befremden, dass es nicht um eine Kuh, ein Schaf oder einen Hund geht, also ein lebendiges Wesen; aber ein Trecker in der Stadt ist vielleicht am wenigstens vorstellbar. Schon wegen der Parkplatzsituation. Und nicht nur deshalb stellt sich die Frage: Wie werden, wie wollen wir leben in  der Zukunft?
Das Jahrmarkttheater platziert diese Frage um zahlreiche „Versuchsanordnungen“, die das Publikum einbeziehen. Anna kennt sich mit Treckern aus, weil einer ihr Freund ist, aber mit der Zukunft? Was ist überhaupt ein Freund? Wie muss einer sein für diesen Ehrentitel?
Und warum wollte man dort leben, wo kein Platz für Trecker ist? „Wie eine Kuh im Koffer“, „ein Adler im Schuhkarton“? Anna ist fest entschlossen: Sie bleibt treckertreu, sie wird bei ihrem Helden mit Motor ausharren.
Vielleicht muss man als Erwachsener eine andere Ebene mitdenken angesichts der Problembehandlungen, die das Jahrmarkttheater munter, ideenreich, manchmal ein bisschen verkaspert aufblättert. Die Spieler jedenfalls sind ganz dabei, sonst kämen sie bei Kindern, die Falschheit ganz schnell zu durchschauen in der Lage sind, auch schlecht an.
Ob man nun aber so einem Systemsprenger-Kind jeden Willen lassen muss? Es geht aber nicht nur um einen Trecker, der partout mit in die Stadt soll – das sollte uns auf jeden Fall schwanen!
Befragen wir also unsere Kinder, wie sie leben wollen, welche Freunde sie brauchen. Und kommen wir ihnen nicht mit unseren alten (Vor)Urteilen! Und so tuckert der Trecker am Schluss vom (Theater)Hof. Alles auf einem Anhänger, für den Umzug bereit. Wie und ob das gehen  kann in der großen Stadt – man kann seine pädagogische Augenbraue heben angesichts des kindlichen Ansinnens. Aber wünschen wir uns nicht immer selbstbewussten Nachwuchs?
Auf dem Spielplan in Bostelwiebeck steht der „Trecker“ am Montag, 31. Mai (11 Uhr), am Samstag und Sonntag, 7./8. August (15 Uhr), und am Sonntag, 15. August (11 und 15 Uhr), Samstag und Sonntag, 21./22. August (15 Uhr).
Barbara Kaiser – 30. Mai 2021