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Feuilleton

Mit Freundlichkeit und Respekt gegen andere

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Zum Tode von Dr. Udo Hachmann

Manche Nachrichten kommen immer noch aus dem sprichwörtlichen heiteren Himmel. Sie schlagen ein wie ein Blitz und lassen Erschrecken, vielleicht ein Innehalten zurück. So ist es mit der Nachricht, dass Dr. Udo Hachmann, ehemaliger Stadtdirektor von Uelzen und langjähriger Vorsitzender des Kunstvereins, gestorben ist. Dabei ist es erst ein halbes Jahr her, dass er freudig und wohl auch ein wenig erleichtert das Amt im Kunstverein abgab. Der Zuhörer dieser Staffelstabübergabe hatte aber durchaus den Eindruck, dass Udo Hachmann und seine Frau Roa noch einiges vorhatten.

Insgesamt 85 Ausstellungen wurden ausgerichtet, seit Dr. Udo Hachmann im Frühjahr 2003 das Amt des ersten Vorsitzenden des Kunstvereins von Jürgen Krüger übernahm. Weil Kunst „nicht teilbar ist“, so seine Überzeugung, und man als Kleinstadt nicht zwangsläufig „kleine Kunst anbieten“ muss. Mit diesem Credo arbeitete er siebzehneinhalb Jahr sehr erfolgreich für die meist junge, unetablierte Kunst. Udo Hachmann war damals seit drei Jahren zurück in Uelzen und bewarb sich um den Vorsitz des rührigen Kunstvereins. „Denken Sie bloß nicht, dass das keine Arbeit macht“, sagte er. Und: „Ich wollte etwas machen, was auch Spaß macht“. Mit dem Kunstverein übernahm er ein intaktes und anerkanntes Erbe von seinem Vorgänger.

Udo Hachmann 2008

Hachmann stammte aus Warendorf in der Nähe von Münster, wo er am 4. Januar 1939 geboren wurde. Er war der älteste von drei Brüdern und kommt aus einer Familie, die seit vier Generationen Bürgermeister hervorbrachte. Seinen Vater rettete diese Funktion dennoch nicht vor der Einberufung; obwohl eigentlich uk-gestellt, ließ er sein Leben 1943 an der Front im Osten. Der Großvater, er „war ein Nazihasser“ sagt der Enkel, wird  mit 72 Jahren nach der Befreiung 1945 von den Alliierten „als Bürgermeister wieder ausgegraben“ und ins Amt gesetzt.

Der junge Udo machte im Jahr 1959 ein altsprachliches Abitur und studierte in Münster und in Frankreich Jura. Er wusste sehr frühzeitig, dass er einmal „in die Kommunalpolitik will“. Weil der nach einem zielstrebigen Studium promovierte Jurist außerdem weiß, dass Bewerber aus der Wirtschaft größere Chancen haben, auch in Stadtverwaltungen angenommen zu werden, arbeitete er zunächst in Kaiserslautern in der Rechtsabteilung des Nähmaschinenherstellers Pfaff. Im Jahr 1971 antwortete er auf drei Ausschreibungen: Bei Audi Neckarsulm, den Stadtverwaltungen Stuttgart und  Uelzen. „Zum Entsetzen des Audi-Chefs“ nahm er den Ruf nach Uelzen an und wird mit 32 Jahren zunächst stellvertretender Stadtdirektor in der Heide, wohl wissend, dass er das „zweitklassige“ bald ablegen kann, weil Günther Goldmann, damals Verwaltungschef, kurz vorm Ruhestand steht.

Redete man mit Udo Hachmann, gab es oft eine Welle der Euphorie und Beredsamkeit. Ob es um seinen Lieblingskomponisten Johann Sebastian Bach ging oder seine Arbeit. Besonders stolz war er auf die freiwillige Eingemeindung von 16 Umlandkommunen nach Uelzen. Im November 1975 erfolgte zudem die Einweihung des neun Millionen Mark teuren Badue, wesentlich aus Mitteln der Zonenrandförderung bezahlt. Auch die Partnerschaft mit (nicht nur) Frankreich war für Hachmann berechtigter Grund, zufrieden zu sein. „Wir haben in manchen Jahren 3000 Menschen ausgetauscht“, schwärmte er.

Udo Hachmann war immer der Ansicht, dass man „über den eigenen Jägerzaun hinaus schauen muss“, heraus kommen sollte aus dem kleinen Leben, um andere Menschen kennen zu lernen. Er verantwortete auch den Kauf von Schloss Holdenstedt durch die Stadt. 1976 noch abgelehnt vom Rat, war es sieben Jahre später so weit. Wie wird sich Udo Hachmann gefühlt haben, als man das Haus, das Museum und ein Haus der Kunst und Musik war, jetzt wieder verscherbelte?

Die deutsche Einheit war für den Lokalpolitiker das „tollste Erlebnis meiner Dienstzeit“; obgleich er mit Sorge auch die neuen Grenzen und Gräben beobachtete. Vielleicht ging er deshalb auch nach Halle/Saale? Denn ohne anderen zuzuhören und gewisse Fragen zuzulassen, wäre der Jurist in seiner neuen Arbeit dort, als Verwaltungsdirektor der Franckeschen Stiftungen, nicht froh geworden. Er bekannte in einem Gespräch einmal offen, unter der anfänglich fühlbaren Distanz zwischen Ost und West gelitten zu haben. Nach sechs Jahren war seine Einschätzung allerdings: „Ich habe mich dort sehr zu Hause gefühlt.“

Mit Hochachtung sprach er von einer Konzertagentur-Managerin, die ihr neues Leben erfolgreich im Griff hatte und von der Bürgermeisterin der Stadt, vor allem aber von einer Wissenschaftlerin, die in einer Novelle über Kindergärten ihm „ihren Denkvorsprung DDR“ klar machte. „Ich hatte schon eingesehen, dass ich als Wessi auf dem falschen Dampfer war“, sagte er frappierend ehrlich. Udo Hachmann war damit der einzige Westdeutsche, der mir persönlich begegnete, der zu derlei Einschätzung in Lage war und dazu stand.

Udo Hachmann mit Simona Staehr

In die Franckeschen Stiftungen wurden 200 Millionen (Mark) investiert, sie sind heute ein Kulturzentrum ersten Ranges. Hachmann nahm das Angebot von dort im Jahr 1997 an, als er die Wahl zum hauptamtlichen Bürgermeister in Uelzen mit einem Achtungserfolg verlor. Wahrscheinlich war das seine einzige Niederlage, aber er „wollte auch nicht kneifen“.

Udo Hachmann spielte täglich fleißig und leidenschaftlich Klavier, fuhr Fahrrad und schlug regelmäßig mit seiner Frau Roa den Golfball. Sein Leben war, wie jedes andere Leben auch, die Suche nach zwei, drei Wahrheiten, die standhalten am Ende. Und anstelle früherer Gewissheiten trat auch die Geduld mit den Irrtümern. Seine Weltanschauung kam immer vom die Welt anschauen. Er blieb stets interessiert, das bewiesen die Präferenzen für die Künstler, die er und sein Kunstvereinsteam einluden.

Nun ist Dr. Udo Hachmann mit 82 Jahren gestorben. Plötzlich und absolut unerwartet, in diesem Falle stimmt die Floskel. Vielleicht ist es ein Trost, dass er ein Leben lebte, dem vieles vergönnt war, voller Tatendrang und Freundlichkeit und immer mit angemessenem Respekt für sein Gegenüber. In dieser Gewissheit kann die Trauer ein Ufer sein, auf das man hinaufsteigt und zurückblickt auf den Fluss.

Barbara Kaiser – 14. Mai 2021