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Feuilleton

Lebensgeschichten – Drei Publikationen, die man mit mehr oder weniger Gewinn liest

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Was ist das für ein Leben, zwischen den Metropolen dieser Welt zu jetten, den Erwartungen hinterherzujagen, die sich doch nie erfüllen. Atemlos die Angst zu verdrängen, etwas zu verpassen; verächtlich und ein bisschen herablassend auf diejenigen zu schauen, die sich kleiner einzurichten versuchen. Aber wenn „Provinz“ nicht geistige Haltung meint, kann sie doch auch Halt sein, oder? Mit diesem Gefühl habe ich Alexander Osangs neuestes Buch „Fast hell“ zugeschlagen. Der Autor gehörte noch nie zu meinen Favoriten, aber man soll sich ja nicht in einmal getroffene Urteile wickeln. Deshalb habe ich diese Geschichte gelesen. Mit deren Story will der Autor, so der vermeintliche Auftrag seines Arbeitgeber-Magazins, zum Einheitsjubiläum etwas über das „rätselhafte Wesen Ossi“ schreiben. Dass Osang damit auch gleich eine Menge von sich selbst preisgibt, ist schon immer so gewesen. Er kommt vom Journalismus – obgleich man auch in diesem Genre „Vorraussetzung“ mit nur einem „r“ schreibt (Seite 99) – was Geschwätzigkeit hin und wieder einschließt. Der Ich-Erzähler trifft sich also mit seinem alten Freund Uwe, sie verabreden sich für eine Schiffsreise nach St. Petersburg. In den berühmten „Weißen Nächten“ und mit ganz viel Wodka erzählt Uwe seine Lebensgeschichte. Die wird am Ende nicht veröffentlicht, weil sie nicht das Klischee des „grauen Ostbürgers“ erfüllt. Sehr viele Ossis warten eben noch immer drauf, dass man ihnen einmal zuhört. Ihr Leben war zwar selten so verrückt, schillernd und verworren wie das von Uwe, aber trist und langweilig war es auch nicht. Wer also das Unwahrscheinliche mag, wen eine große Portion Renommiersucht nicht stört und selber Unruhegeist ist, dem wird der Osang gefallen. Ich konnte damit nicht allzu viel anfangen.

Auch voller Abenteuer, jedoch ganz anders, bodenständiger irgendwie, kommt Bernd Schirmers „Der letzte Sommer der Indianer“ daher. Sie kennen Bernd Schirmer nicht?
Geboren 1940 in Leipzig, studierte er Germanistik und Anglistik an der Karl-Marx-Universität Leipzig. Er arbeitete beim Rundfunk, war Dozent an der Universität Algier und Dramaturg beim Fernsehfunk. Seit 1991 ist er freischaffend. Meine Begegnung mit ihm kam in Form eines Films Ende der 1980er Jahre, für den er ein Hörspiel als Vorlage verfasste. „Fahrschule“ war ein Streifen, bei dem ich vor Lachen vom Stuhl fallen wollte, mein Mann aber ziemlich ungerührt daneben saß; seitdem war für mich endgültig klar, dass Männer und Frauen in manchen Dingen einfach nicht kompatibel sind! In seinem Buch, das in der Edition Schwarzdruck erschien, lässt Schirmer sächsische Freizeit-Indianer – schließlich siedelte Karl May gleich in der Nähe – die Wende erleben. Das ist umwerfend komisch und angemessen traurig, das ist ein Erinnerungsparcours mit Fallstricken und Wahrheiten, aber auch ganz viel Spaß: „Sie waren auf Pferden über die Grenze geritten, ihre Tomahawks und Lassos schwingend, mit wehenden Federbüschen und mit Freudengeheul… Es geschah an einem nebligen Morgen im November, als sie johlend und lachend in die kleine Stadt einfielen, die hinter der Grenze lag…“ Und da hatte doch wirklich ein Grenzer die Pässe gefordert, was für zusätzliche Heiterkeit sorgte. Dann waren sie aber durchgelassen worden und einen offiziellen Empfang im Westen gab es auch, bei dem sich die Stadtoberen jenseits der Grenze wahrscheinlich sehr über ihre exotischen Landsleute wunderten, sie damals schon wie naive Eingeborene behandelten. Das wurde ja später noch schlimmer. Diese Indianergeschichte ist eine zwischen Dichtung und Wahrheit, jedoch mit ganz viel Wahrheit für den, der es weiß oder wissen will!

Es ist ein Lesevergnügen und man hätte es wissen müssen: Ausgerechnet in Venedig, wohin die Frau des Häuptlings partout will, erklärt ein alter italienischer Linker den ostdeutschen Touristen, was sie gerade aufgeben und verlieren werden.

Das dritte Buch ist die Neuerscheinung von Doris Gercke mit dem Titel „Die Nacht ist vorgedrungen“. Es scheint eine Summe dessen zu sein, was die inzwischen 84-jährige Autorin unbedingt sagen will. Was ihr gesellschaftspolitisch aufstößt: Prostitution zum Beispiel und Miss-Wahlen zwischen Leipzig und St. Petersburg, die nichts anderes als Prostitution sind. Die Entwicklung von bewaffneten Drohnen am Bundestag vorbei und die neuen Nazis, die sich überall auf dem Lande einrichten und Netzwerke bilden. Dafür hat Doris Gercke sich ins Milieu des Journalismus begeben, wo ihre Protagonistin ganz gut lebt, ohne sich jedoch verbiegen zu müssen. Bis ihr Kollege und Fotograf, mit dem sie auf Story-Suche ging, ermordet wird. Warum? Welcher brisanten Tatsache war er auf der Spur? Und sage keiner, Journalisten würden nur anderswo am Berichten gehindert! Mit einem feinen Ton, der manchmal ins Sarkastische driftet, wird hier eine Geschichte erzählt, deren Ende deprimierend ist. So wie der genaue Blick in diese Gesellschaft, für die Gercke eine Antenne hat. Schon immer.

[Barbara Kaiser]