Ein Turm wie kein anderer
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Foto: Marwede
Der wohl schönste Bücherschrank im Landkreis Uelzen
Weit in die Feldmark hinein ist der Glockenschlag zu hören. Einst diente er den Menschen auf den Feldern als Zeichen dafür, wann es Zeit war, eine Pause einzulegen oder nach getaner Arbeit zurück ins Dorf zu kehren. Während andere Orte Burgen, Schlösser oder Kirchen als Wahrzeichen haben, ist es in Vinstedt der historische Wasserturm, der vor drei Jahren durch Kristine und Hans-Wilhelm Haberland zu neuem Leben erweckt wurde. Heute verbirgt sich in ihm der wohl schönste Bücherschrank des Landkreises.
Landwirt Dieter Haberland liebte das Lesen und die Bücher. Besonders hatte es ihm Literatur über Trecker und Eisenbahnen angetan und so hinterließ er nach seinem Tod im Februar 2018 unzählige Bücher, für die es nicht wirklich eine Verwendung gab. So entstand die Idee, aus dem Wasserturm einen Bücherturm zu machen. „Dieter’s Bücher-Flohmarkt“ steht draußen auf einem Schild an der Verbindungsstraße zwischen Barum und Ebstorf. Wer neugierig geworden ist und anhält, der findet in dem Turm, der einen inneren Durchmesser von 5,80 Metern aufweist, eine Vielzahl von Büchern. Dort, wo sich vor wenigen Jahren noch Treckerreifen stapelten, stehen heute Regale und ein Tisch mit unterschiedlichster Literatur. Die Bücher zum Thema „Trecker“ waren schnell vergriffen, Eisenbahnbücher finden sich indes noch immer. Doch der Schwerpunkt liegt heute bei Krimis, Familien- und Liebesromanen, aber auch Sachbücher wie Reiseführer oder Kinderbücher sind hier zu finden. Wer möchte, nimmt auf einem der Stühle oder der von Peter Organiszak gebauten Bank Platz und schmökert in den Büchern.
Längst spendieren Nachbarn, Freunde und Bekannte Bücher, so dass der Bestand erhalten bleibt – der Bücherturm hat ein Eigenleben entwickelt. So haben die Bücher hier eine ganz eigene Geschichte, die aber ihr Geheimnis bleibt. Während an Bücherschränken zum Tausch eingeladen wird, wird am Vinstedter Bücherturm um eine Spende gebeten. Das aus gutem Grund, denn die alte Uhr in luftiger Höhe muss dringend restauriert werden. Die Uhr mit den goldfarbenen Ziffern wird von Nachbar Klaus Kobernuss einmal in der Woche mit der Hand aufgezogen. Nostalgie pur!
Vor mehr als 100 Jahren hatte Hans Jenckel mit einigen anderen Vinstedtern die Initiative ergriffen und den Turm erbaut. Somit war Vinstedt eines der ersten Dörfer im Landkreis Uelzen, das eine eigene Wasserversorgung hatte. Schon ab 1911 konnten mit dem Wasserturm als höchstem Punkt über ein natürliches Gefälle alle Haushalte des Dorfes mit Wasser versorgt werden. Das Wasser war für alle nahezu kostenlos, denn allein anfallende Strom- und Reparaturkosten wurden auf die Nutzer umgelegt. Bis zum 31. Juli 1984 ging das so, ehe auch die Vinstedter an das allgemeine Kreisnetz angeschlossen wurden. Geblieben ist die Erinnerung an alte Zeiten, geblieben ist auch das imposante Bauwerk, das nun einen neuen, ganz anderen Zweck erfüllt. Das hatten sich die Erbauer im Jahr 1911 bestimmt nicht gedacht.
Der Wasserturm ist (nahezu) täglich tagsüber geöffnet.
[Dirk Marwede]