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Der Robo-Schüler

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Ein Avatar hilft krebskranken Kindern dabei, den Anschluss nicht zu verlieren

Karlsson ist anders als die anderen Kinder der dritten Klasse in der Mühlenschule Suhlendorf. Er steht auf seinem Tisch, ist nicht einmal 30 Zentimeter hoch und knapp 18 breit – aber er arbeitet im Unterricht gut mit. Wenn er sich melden will, blinkt sein Kopf, wenn er in Ruhe gelassen werden möchte, wechselt er die Farbe.
Eigentlich würde Tom auf diesem Platz sitzen. Doch der Neunjährige hat Krebs und ist nach einer langen Behandlung zu Hause. Karlsson ist sein Tor in die Welt. Mit dem Avatar kann er am Unterricht teilnehmen und theoretisch sogar mit auf Klassenfahrt gehen. Über einen Laptop steuert Tom den weißen Roboter von zu Hause aus und kann über einen Lautsprecher auch mitreden. Sogar Gefühl könne er zum Ausdruck bringen, erläutert Lehrerin Anja Emrich.
„Wenn er online ist, leuchten die Augen des Avatar“, erklärt sie. „Und er kann damit traurig, fragend oder fröhlich gucken.“
Den Avatar hat Tom von der Fördergemeinschaft Kinderkrebs-Zentrum bekommen, die an die Onkolgie des Uniklinikums Eppendorf angeschlossen ist. Den Verein gibt es schon seit 1975. Damals wurde er von betroffenen Eltern ins Leben gerufen. Die Avatare hatte er ursprünglich gemietet, aber mittlerweile gekauft. Entwickelt wurde das Gerät von der norwegischen Firma „No Isolation“, speziell um kranken Kindern die Möglichkeit zu geben, am Gemeinschaftsleben teilzunehmen. Dieser Aspekt sei auch wichtiger als der Lernstoff, so Tina Winter von der Fördergemeinschaft. „Es geht nicht darum, den Lehrplan zu erfüllen. Sondern weiterhin ein Teil der Klasse zu sein und dazu zu gehören.“
30 Avatare hat der Verein zur Verfügung, die er je nach Bedarf an Kinder abgibt, die entweder im Krankenhaus oder zu Hause bleiben müssen. Dazu gehören ein Headset und ein personalisierter Laptop. Nur mit ihm ist der Avatar über W-Lan oder das Mobilfunknetz steuerbar. Und sollte er einmal kaputt gehen, gibt es schnell Ersatz, verspricht Tina Winter. In der Regel bleibe der Avatar zwischen drei und fünf Monaten bei einem Kind. Doch das variiere je nach Fall. „Im Grunde geben wir sie ab, so lange es nötig ist“, erklärt die Sprecherin.
Am UKE in Eppendorf gibt es dann jemanden, der Eltern und Kinder im Umgang mit dem Avatar schult. Im Kinderkrebs-Zentrum Hamburg werden pro Jahr 600 Kinder stationär und ambulant behandelt. Der Einsatz der Avatare ist auch nicht auf die Bundesländer Hamburg und Niedersachsen beschränkt – Karlsson und seine Kollegen kommen weit herum. Auch in Bad Bevensen ist einer im Einsatz
Durch Karlsson gehört Tom weiterhin mit zur Klasse. Die Schülerinnen und Schüler sehen in ihm mittlerweile eine Selbstverständlichkeit und auch das Arbeiten klappe gut, erklärt Anja Emrich. „Sie begrüßen ihn morgens und freuen sich, wenn er online ist.“ Der Körper und der Kopf des Avatars sind drehbar, so dass Tom von zu Hause aus überall hinsehen kann. Die Aufgaben erledigt er dann am Laptop und vergleicht sie mit den Ergebnissen in der Schule. Sein Pensum bestimmt Tom dabei alleine. Wenn er in Ruhe gelassen will, signalisiert Karlsson das. Und wenn er zu erschöpft ist, schaltet Tom ab.
Auch für die Lehrerin ist es wichtig, dass Tom durch seinen Avatar weiterhin ein Teil der Klasse ist und sich zugehörig fühlt. Sogar als die Klasse neulich zur Kartoffelernte bei einem Landwirt war, konnte Tom auf diese Weise mit dabei sein. Nur wenn im nächsten Jahr die Klassenfahrt ansteht, dann ist Karlsson hoffentlich schon bei einem anderen Kind. Denn das Erlebnis möchte Tom nicht seinem Avatar überlassen.

[Carsten Schlüter]

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