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Feuilleton

Der Kulturideengeber

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Zum Tode von Jürgen Warnecke

So wie Jürgen Warnecke, der kleine, stille und stets höfliche Mann im immer korrekten Anzug, zu Konzerten und Theaterveranstaltungen in der Kurstadt von zahlreichen Menschen stets achtungsvoll begrüßt wurde, ist zu vermuten, dass er, aller schnelllebigen Zeit zum Trotz, im Gedächtnis bleiben wird bei vielen. Denn der jetzt im Alter von 85 Jahren Verstorbene war ein Bevenser Urgestein und wird wohl immer in einem Atemzug mit „Kurverwaltung“ und „Kulturbetrieb“ zu nennen bleiben.

Ich habe Jürgen Warnecke fast 25 Jahre lang gekannt und uns verband eine gegenseitige Wertschätzung. Dass er ein witziger und intelligenter Erzähler war, der Dialekte und Körperhaltungen umwerfend zu imitieren und somit Befindlichkeiten auf unnachahmliche Weise auszudrücken vermochte, erfuhr ich, als ich ihn für die AZ-Reihe „Ganz privat“ zu Hause besuchen durfte (2005). Jürgen Warnecke war an einem 11. 11. geboren und leitete daraus das Recht zu ein wenig Schabernack für sich ab. Für die Mehrheit war er aber der zuverlässige, kundige Kulturorganisator.

Im Jahr 1936 in der Kurstadt zur Welt gekommen, legte ihm das große musische Interesse offenbar der Großvater, Max Warnecke, in die Wiege. Der studierte in Leipzig Musik und war an der Staatsoper Hamburg als Geiger, Pianist und Trompeter angestellt. Der Großvater malte auch und sammelte Kunst. In den 30er Jahren des vergangenen Jahrhunderts gründete er den Vorläufer des Kulturvereins Bevensen, indem er Musiker- und Sängerkollegen aus Hamburg zu Konzerten hierher holte. Ein kleines Stückchen Großstadtflair.

Warneckes Vater war eigentlich Buchhändler und ein großer Liebhaber der Literatur – wie sein Sohn später auch. Eine Bücherstauballergie zwang ihn, diesen Beruf aufzugeben. So zogen die Eltern  aufs Land, nach Bevensen! Und gründeten eine Geflügelbrüterproduktion.

Eigentlich hatte Jürgen Warnecke Wirtschaftsgeflügelzüchter gelernt, besaß sogar einen zweiten Berufsabschluss, den des Süßmosttechnikers. Dazu kam eine unstillbare Sehnsucht, einmal in Regensburg zu sein. Jemand hatte ihm von dieser Stadt an der Donau mit den Häusern aus der Römerzeit vorgeschwärmt. Jürgen Warnecke wollte sich eben nicht schon in frühen Jahren als ein Ankommer domestizieren, sondern ein Wanderer bleiben. In der Fachzeitschrift, in der er sich nach Süddeutschland bewarb, stand seine Annonce neben der eines Fruchtsaftherstellers, der Süßmosttechniker suchte. Wenn das kein Zeichen geheißen werden konnte! So kam er wirklich im Jahr 1959 in Regensburg an. Was er aus dieser Zeit erzählte, ist „buchenswert“, wie Thomas Mann in seinem Roman „Lotte in Weimar“ den Hoteldiener Mager sagen lässt, als er „Werthers Lotte aus Goethes Kutsche“ hilft. Buchenswert! „Da herom kommen S`?“ hätten die Leute ihn konsterniert gefragt. Lüneburger Heide war für sie wie vom Mars – nur dass man wohl dort nicht hochdeutsch spricht.

Einer weiteren Anzeige, der der Kurverwaltung Bevensen, die einen Mitarbeiter suchte, ging er nur nach, um der Mutter einen Gefallen zu tun, für die ihr Ältester viel zu weit weg war.  Im Jahr 1970 bekam er die Stelle wirklich und somit wieder zu Hause an. Das Kurzentrum gab es noch nicht, man saß an der Brückenstraße. Ohne Computer, ohne Kurkapelle (die inzwischen auch wieder abgeschafft ist), „wenn es mal einen Lichtbildervortrag gab, war das viel“. Die Zimmervermittlung war Hauptaufgabe.

Jürgen Warnecke war es zu danken, dass ein Veranstaltungsprogramm für Gäste entwickelt und Querverbindungen zu allen aufgebaut wurden, die sich der Kultur in Bevensen verschrieben. Auch die Strukturen, die Kontakte, der Veranstaltungskalender und die Kurzeitung stammten aus der Warneckeschen Zeit. „Er war Ideengeber, Organisator und Marketingchef“, sagte die Nachfolgerin im Amt, Birgit Rehse, vor etwa 15 Jahren einmal.

Aus dieser Zeit  gäbe es herrliche Geschichten aufzuschreiben,  hatte sich Jürgen Warnecke vorgenommen. Veröffentlichte Bevensen-Bücher gab es bereits. Die bewiesen, dass der Autor außer der Natur und den Tieren auch die Menschen liebte. Jürgen Warnecke lächelte, wenn er sich erinnerte, auf so feine Weise, die es nie bis zum Hohn schaffen würde. Er lebte für die Musik:  „Konzert lasse ich keines aus“, hatte eine Schwäche für die Kinder und Enkel seiner Schwester. Selbst verheiratet war er nie. „Es hat sich nicht ergeben, auch wenn`s mal nahe dran war“, erzählte er. Eine große Kulturfamilie hatte er trotzdem.

Als ich Jürgen Warnecke das letzte Mal traf, es war in einer Konzertpause, noch im alten Kurhaus, war zu merken, dass er mich nicht mehr erkannte. Seine letzten Lebensjahre führten ihn in die Dunkelheit einer schweren Demenz. Es bleibt zu hoffen, dass der wunderbar freundliche Mann in seinem Kopf wenigstens noch Musik zu hören vermochte. Das wird ihm in seiner Bescheidenheit genug gewesen sein.

Barbara Kaiser – 18. Juni 2022