Seite lädt...

Allgemein Neueste Beiträge News

Über die Eziden in Uelzen

teilen

Foto: Levi Clancy/ Wikipedia CC BY-SA 4.0

„Der Türke von nebenan“?

Wer Ezide ist, in dessen Biografie ist es eingeschrieben, mit seiner Religion hinter dem Berg zu halten. Nadia, die ihren eigentlichen Namen hier nicht bekanntgeben möchte, sitzt an ihrem Arbeitsplatz in Uelzen und berichtet über das, was ihre hierzulande viel zu unbekannte Religion ausmacht. Besonders eine Sache gehört – leider – dazu: „Über Generationen haben die Menschen gelernt, dass sie unsichtbar sein mussten, um zu überleben“, erzählt sie.

Melek Taus, einer von sieben Erzengeln der Eziden und wichtiges Symbol.
Foto: YZD, wikipedia.org

Im Januar diesen Jahres hat der Deutsche Bundestag die Verbrechen des Islamischen Staates (IS) an den Eziden als Völkermord anerkannt, das Parlament stimmte damit einem gemeinsamen Antrag der Ampelfraktionen und der CDU/CSU-Fraktion zu, die gefordert hatten, die 2014 von der Terrororganisation „Islamischer Staat“ auf irakischem Territorium begangenen Gewalttaten im Sinne des Übereinkommens über die Verhütung und Bestrafung des Völkermordes der Vereinten Nationen als Genozid einzustufen. Tausende Menschen der religiösen Minderheit waren durch den IS verschleppt, vergewaltigt, versklavt und ermordet worden. Ein wichtiger Schritt sei das gewesen in der Wahrnehmung ihrer Gemeinschaft, sagt Nadia, die selbst seit 1985 in Deutschland ist und als kleines Kind mit ihrer Familie floh. „Der IS – das waren Nachbarn. Das waren Menschen, die ihre Opfer kannten, die sie später verraten, verkauft, getötet haben.“ Man habe damals alles getan, um nicht aufzufallen: „Als ich Kind war, haben wir zeitgleich mit den Moslems gefastet“, erinnert sich Nadia – „damit keiner misstrauisch wird.“ Die Eziden tragen traditionell oftmals weiße Kleidung – „und die Frauen haben sie gegen andere Kleidung ausgetauscht, als das Militär kam, um nicht vergewaltigt zu werden.“

Lalish im Nordirak, wo in jedem Jahr das Fest der Versammlung stattfindet.
Foto: Levi Clancy/ Wikipedia CC BY-SA 4.0

Bis heute sind die Eziden in aller Welt verstreut. Ungefähr eine Million Angehörige dieser ältesten monotheistischen Religion, mutmaßlich älter als Judentum und Christentum, gibt es auf der Welt, etwa ein Fünftel von ihnen lebt heute in Deutschland. Es ist eine ethnisch-religiöse Gruppe, ihre Hauptsiedlungsgebiete lagen ursprünglich im nördlichen Irak, in Nord-Syrien und in der südöstlichen Türkei; manche verstehen sich ethnisch als Kurden, manche als eigene Ethnie. Hier in Deutschland werden diese Unterschiede meist nicht so fein wahrgenommen: „In ihren Dokumenten steht oft bei der Religionszugehörigkeit ‚Islam‘ oder ‚konfessionslos‘, das stimmt aber überhaupt nicht“, weiß Nadia, auch wenn manche Kurden islamisiert worden sind in der Zeit der IS-Herrschaft. Oder: Der örtliche Gemüsehändler wird wahrgenommen als „der Türke von nebenan“. Dabei sind es Eziden. „Viele denken auch, dass kurdisch und türkisch die gleiche Sprache beschreibt“, so Nadia – „aber dem ist nicht so.“
Organisiert im Uelzener Raum seien die Familien zwar institutionell nicht, aber natürlich gebe es Netzwerke und man kenne sich. „Wenn jemand aus der Gemeinschaft stirbt, steht sofort alles bereit – alle Beisetzungsrituale laufen ab, die Waschung, für traditionelles Essen ist gesorgt, und man kommt in den ezidischen Gemeindezentren in Celle oder Bad Fallingbostel zusammen“, so Nadia. In Uelzen gibt es derartige Orte für Zusammenkünfte indes noch nicht. Viel Luft ist da also noch, sich gegenseitig kennenzulernen.

Hätten Sie’s gewusst? 

  • Das Ezidentum ist die vermutlich älteste monotheistische (einen Gott benennende) Religion
  • Die Mitgliedschaft ergibt sich ausschließlich durch Geburt, wenn beide Elternteile ezidischer Abstammung sind.
  • Es gibt keine überlieferte heilige Schrift, sämtliche Rituale und Inhalte gründen sich auf die mündliche Überlieferung.
  • Anders als im Islam sieht die ezidische Spiritualität die Gleichberechtigung von Mann und Frau vor; in der Religion gibt es zahlreiche herausragende Frauenfiguren, auch in der politischen Herrschaftsgeschichte gibt es eine Reihe weiblicher Führungsfiguren.
  • Zwar wird häufig der Begriff „Jesiden“ verwendet, doch dies gilt als abwertende Fremdbezeichnung. Die Angehörigen der Religionsgemeinschaft bevorzugen die Bezeichnung „Eziden“ oder „Êzîden“.

[Janina Fuge]

Tags: