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Start für Präsentationen von Bildern im neuen Kreishaus

Vernissage morgen, Freitag, 14 Uhr

Betritt man das neue Kreishaus, gähnen einen die weißen Wände förmlich an. Da ist es höchste Zeit, dass dagegen etwas unternommen wird, damit ein wenig mehr freudige Kreativität in diesem Amtsgebäude Raum greift. Das alte Kreishaus an der Veerßer Straße hatte oft eine Bühne für Ausstellungen geboten.

Gerard Minnaard und Renate Schmidt bei der Hängung der Ausstellung im Kreishaus.

Dank Gerard Minnaard und Renate Schmidt (Woltersburger Mühle/ BBK) ist es nun so weit: Als Würdigung und zur Erinnerung an den Künstler Werner Steinbrecher, rechtzeitig zu dessen 15. Todestag am 23. Oktober, werden die Wände jetzt farbiger, interessanter. Und, so beteuert Gerard Minnaard, es soll keine Eintagsfliege bleiben. Das neue Kreishaus wird auch ein Forum für Bilder werden; vielleicht eine Entschädigung aller Mitarbeiter*innen dafür, dass Kunst am Bau leider nicht eingepreist war bei der Planung. (Ganz anders übrigens damals im Klinikum, wo Großformate von Clas Tilly die Besucher erfreuen.)

Werner Steinbrecher wurde 1946 geboren und starb 2008 mit gerade einmal 62 Jahren viel zu früh. Allen, die ihn kannten, fehlt er. Ich durfte ihn einen Freund nennen, und manchmal frage ich mich in der Gegenwart, was er zur heutigen Weltlage sagte, wie er sie künstlerisch verarbeitete. Versuchte er es mit der Strenge seiner Schriftbilder, ein wenig Ordnung ins Chaos bringend? Oder kehrte er zur Darstellung des Menschen zurück – die er ab der 1990er Jahre aufgegeben hatte -, um all dem Leid, der Verzweiflung  angesichts von Hunger, Krieg und Umweltzerstörung Ausdruck zu verleihen? Legte er seine künstlerische Verarbeitung von „Das Floß der Medusa“ neu auf? Zu meinem 50. Geburtstag schenkte mir Werner Steinbrecher dieses Bild aus seiner Berliner Zeit, also mit Menschen. Es ist ein grafikartiges A3-Format in Schwarz-weiß-braun. Als hätte den Künstler schon damals, also 1985, umgetrieben, was uns heute den Schlaf raubt, so wir denn ein Herz haben: Die Grausamkeit, mit der Menschen sich begegnen.
„Das Floß der Medusa“ hat nichts mit der mythologischen Dame zu tun, bei dessen Anblick alle zu Stein erstarren. Die „Medusa“ war im Jahr 1816 eine französische Fregatte, die sich mit 400 Menschen an Bord aufmachte, die von England an Frankreich im Verlauf der Napoleonischen Kriege zurückgegebene Kolonie Senegal wieder in Besitz zu nehmen. Als das Schiff auf Grund lief und alle Versuche der Befreiung nichts nützten, befahl der Kapitän, aus Masten und Planken ein Floß zu bauen. Rettungsboote gab es für alle 400 Passagiere nicht. Die im Verbund mitsegelnden drei Schiffe sollten das Gefährt und die 149 Menschen darauf – natürlich war es nicht die Upper Class – an Land schleppen. Unterwegs allerdings wurden die Taue gekappt und die Schiffbrüchigen ihrem Schicksal überlassen. Wie bekannt kommt uns das heute vor?

Dieses Bild ist dem Klarinettisten Jörg Widmann gewidmet.

Wir können den Künstler nicht mehr fragen. Schottete er sich inzwischen etwa ab, weil er das Elend und den Voyeurismus per Social Media oder Fake News nicht mehr ertrüge?
Sollten wir uns deshalb aber nur an die freundlichen Bilder halten, die im Kreishaus auch zu sehen sind? Wie beispielsweise drei Großformate, die für Steinbrecher ungewöhnlich bunt daherkommen. Sie sind dem Klarinettisten Jörg Widmann (*1973) gewidmet und entstanden im Jahr 2005. Dessen Schwester, die Violinistin Carolin Widmann (*1976), war übrigens im Jahr 2006 im Symphonischen Ring in Uelzen zu Gast. Steinbrecher war mit der Familie bekannt. Aus diesen bunten Streifen klingt dem Betrachter Musik entgegen, mal Adagio, mal Allegro. Es muss eine glücklichere Zeit für den Maler gewesen sein, denn er bleibt zwar seinen Formen treu, greift aber überraschend in den Farbtopf…
Zu sehen sind auch die bekannten Schriftbilder, die Beschäftigung mit Ludwig Wittgenstein hat Werner Steinbrecher lange begleitet. Auch Arbeiten aus seinem Projekt „Eine Kiste im Keller“, mit dem er die Hinterlassenschaften seines Vaters, mit dem er, wie für diese bundesdeutsche Nachkriegsgeneration üblich, nie ins Gespräch kam, aufarbeitete.

Werner Steinbrecher hatte zwei Hochschulabschlüsse, den des Architekten und den des Bildenden Künstler. Er war zwei Mal Vorsitzender des Bundes Bildender Künstler Uelzen und hoch geachtet. Es ist an der Zeit, an ihn zu erinnern. Obgleich der freundliche, stille Mann unvergessen ist, der an der Welt manchmal übermäßig litt, jedoch seine Kunst zwischen  „Petitessen“, „Äpfeln und Birnen“, diszipliniert strukturierten wie akribischen Schriftbildern, verschiedenen Projekten oder der Kunst im Raum (Auferstehungs- und Schöpfungsweg) immer in den Dienst einer Auseinandersetzung stellte. Sehr oft mit Erkenntnisgewinn für uns Betrachter. – Die Arbeiten Werner Steinbrechers sind bis Ende März 2024 im Kreishaus Uelzen zu sehen.

Barbara Kaiser – 21. September 2023 (= übrigens der 77. Geburtstag des Malers!)

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