Die Vorträge dieser beiden waren es auch, die den Abend trotz des genannten Mankos unwiderstehlich intensiv machten. Hier hatte Hendrik Lücke seinen manchmal etwas brachialen Anschlag am besten im Griff, hier wusste er zu differenzieren und zu gestalten. Er brachte den Zuhörern die kühne Chromatik nahe, mit der der Komponist die Schrecknisse der Nebelnacht des „Erlkönigs“ zeichnete, verlor sich nicht zu sehr in den malerischen Details, schuf Vertrauen mit dem Rhythmus des Reitens, das jedoch mit punktierten Achtelnoten bald jagend und Furcht einflößend wird. Düster, schmerzhaft und ohne Trost die letzte Zeile in – Moll.
Genauso grausig und unheimlich, eben „balladeske“ Stimmungen zeichnend, die Loewes musikalische Fantasie so einzigartig machen, der Vortrag von „Edward“. Die Geschichte eines jungen Mannes, der, wie sich herausstellen wird, auf Geheiß seiner Mutter, seinen Vater erschlug. Das war Psycho vom Feinsten!
Kontrapunkt dazu „Die Uhr“, die bei Hendrik Lücke nicht über die Maßen sentimental interpretiert wurde, was dem Stück gut tat, oder „Süßes Begräbnis“, eine Inkarnation der Schlichtheit, Einfachheit und musikalischer Schönheit. Ein bisschen viel Dramatik besaß hingegen „Archibald Douglas“, aber Textgeber Fontane war als Balladendichter sowieso einer, der es gerne übertrieb, dem trugen Loewe und auch Lücke offenbar Rechnung.
Es war eine gute Idee des Sängers, seinem Publikum die Texte an die Hand zu geben, denn nicht immer war Lücke textverständlich. Auch weil das Klavier oft zu prominent renommierte. Vokal fehlte in den Tiefen manchmal die Überzeugung. Aber Lücke ist halt Tenor. Der bekanntlich fast alle Herzen bricht. Und so hatte das Publikum am Ende für seinen Applaus durchaus viele gute Gründe. Nur „Tom, der Reimer“ fehlte leider auf dem Programmzettel…
Barbara Kaiser – 07. Februar 2022