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„Mein Pinsel ist die Schere“

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Geburtstagsausstellung zum 85. von Georg Lipinsky in der BKK-Galerie/ Vernissage Sonntag, 17. August, 17 Uhr, Oldenstadt

Was für ein Universum! Eine Welt aus Tieren, Pflanzen, Dingen, Schriften, Noten und Menschen. Fantasieüberbordet. Handwerklich in Perfektion. Gedanklich im Jetzt, auch wenn die Vergangenheit verhandelt wird. Georg Lipinsky präsentiert eine Geburtstagsausstellung zu seinem 85. Jubeljahr; es ist die erste von vieren bis Dezember. Und er redet schon von einer im nächsten Jahr im Kloster Ebstorf… Dieser Mann ist unermüdlich. Er schöpft aus einem riesigen Reservoir, wo andere gerade mal den eigenen Tellerrand erklimmen. Die Bilder dieses Uelzener Künstlers, des Kunstpädagogen, des BBK- und Kulturverein-Urgesteins sind eine Reise. Man muss sich nur aufmachen wollen.

Georg Lipinsky vor „Geschichtliches“, einer Arbeit mit der Skizze seines Großvaters, die der in der Gefangenschaft im I. (!) Weltkrieg anfertigte.

Dabei klingt der Titel der Schau ein wenig bitter: „Noch erzähle ich Geschichten“, lässt uns Lipinsky wissen. Die Betonung auf „noch“. Natürlich ist das Leben immer nur Frist, mit 85 mehr denn je. Man mag es bloß nicht wahrhaben bei einem wie diesem, der so überquillt, so sprüht, voll ist mit künstlerischen Ideen und Einfällen. Wenn einer in diesem Alter nicht den Lehnsessel hütet, sondern eine sehr dezidierte Meinung hat zur Gegenwart und die auch vertritt. Da hält sich der Jubilar nämlich an Coco Chanel – vielleicht traute mancher der Modemacherin und obendrein einer Frau (es gibt ja wieder Leute, die laut sagen, die gehörten an den Herd) diesen Satz nicht zu: „Die allermutigste Handlung ist immer noch, selbst zu denken. Laut!“ Das macht der Georg – ich denke, ich darf ihn nach 25 Jahren Bekanntschaft beim Vornamen und einen Freund nennen.

Und so entfaltet der Maler mit der Schere – sein ist Motto: Mein Pinsel ist die Schere – ein dichtes Geflecht aus Bildzitaten, visuellen Verweisen, Anspielungen. Seine Bilder sind hybride Montagen aus Fragmenten und: Die Idyllen trügen alle! Die Ideen entstehen im künstlerischen Prozess; und seine Kunst ist auch ein Zusammenstoß zwischen falschem Schein und verborgenem Sein. Denn Lipinsky extrahiert aus dem Wort GESCHICHTEN mal GESCHICHTE, SICHT oder SCHICHT. Er rührt ein Amalgam zusammen, auf dass er uns Rätsel aufgäbe aber genauso den Spiegel vorhält. Er erzählt über sich, sein Leben und über uns. Unsere Dummheit auch, die Blindheit, mit der wir durch die Welt stolpern.

„Der Trojanische Fisch“ birgt genauso Gefahr wie einst das Pferd.

Beispiel: „Der trojanische Fisch“. Ja, es war ein Pferd bei Odysseus. Bei Lipinsky nicht. Das Flossentier trägt den Lageplan des ausgegrabenen Troja in sich und ein Raubtier, einen Leoparden, auch.  Denn ein Trojaner ist, alle Computernutzer fürchten ihn, ein Wesen, das Schaden bringt. Die illustrierenden Pilze am Wegesrand sind in diesem Falle schmackhaft, es sind Birkenpilze, andere ihrer Art können aber auch Gift bringen. So wie das trojanische Pferd die Krieger ausspuckte, die die Stadt dem Erdboden gleichmachten …  Auf der rechten Seite des Bildes versucht man den Widerstand. Der Uelzener Kirchturm kippelt zwar verdächtig und das Bandmaß weiß von der ablaufenden Zeit zu berichten, wie bei Rekruten, die das Ende des Wehrdienstes herbeisehnen und jeden Tag einen Zentimeter abschneiden. Aber es ist auch Lebenszeit, die verrinnt. Dass der Trojanische Fisch bei Lipinsky auf einer Art Wagen fährt, versteht der Betrachter vielleicht auch als „Alles fließt“. Beziehungsweise bewegt sich. Im besten Falle vorwärts; aber Geschichte macht auch schon mal Rollen rückwärts, wie in der Gegenwart zu besichtigen.

Neben der Erzählung hat der schnippelnde Maler sich das Credo der ästhetischen Harmonie verordnet. Es muss ins Bild passen, sagt er, „auch wenn es mal nix bedeutet“. Das ist vielleicht ein Trost für uns Besucher – alles muss man nicht verstehen wollen. Aber ein bisschen einfallsreich und gewillt sollte man schon sein, steht man vor diesen 20 Arbeiten. Denn Kunst kann nicht nur das sein, was nicht zu verstehen ist (Harald Metzkes). So wie Georg Lipinksy bekennt, dass sein „Weltbild“ ein Puzzle ist, darf man sich sein eigenes zusammensuchen. Dieses Großformat beinhaltet viele Motive. Und da wird schnell mal aus dem Namen Grieg, dem Komponisten, die Gier – das Hauptübel, solange die Menschheit Zusammenleben versucht. Er habe das „Weltbild“ mit seinen Werten gefüllt, erklärt der Künstler. Nach rechts steht die Brandmauer mit einem Elefanten, der nichts vergisst. Auch die deutsche Geschichte nicht! Nach links und oben ist das Bild offener. Das lässt Denk-Raum.

„Der Paradiesgarten“ – machen es die Menschen dieses Mal besser?

Die Ausstellung ist eine kunterbunte Gediegenheit. Voller Weisheit und Schabernack. Inklusive Anregung, aber auch Weltenrätseln. Wir hören und sehen ja, was wir erwarten; bei Lipinsky funktioniert das nicht. Also: Den Kopf einschalten.

Ein Lieblingsbild habe ich gefunden: Der „Paradiesgarten“. Inmitten von Grün: Adam und Eva, engumschlungen, mit zwei fetten Allerwertesten. Sie stehen da als dächten sie: Was machen wir jetzt damit, mit dieser Fülle, dieser Üppigkeit. Keine Schlange weit und breit, über ihnen thront nicht Gott Vater, sondern Leonardo da Vinci, das Universalgenie. Der vielleicht hilft, dieses neue Paradies nicht zu zerstören. Eventuell. Es sieht auf dem Bild so aus. Oder bleiben die Zwei so dumm wie sie sind, weil ihnen den Apfel der Erkenntnis keiner anbietet!? Das wäre fatal.

Nach der Vernissage am Sonntag, 17. August 2025, um 17 Uhr, ist die Ausstellung noch am Wochenende, 23. und 24. August 2025, zu sehen. Von 15 bis 18 Uhr wird der Künstler anwesend sein.

Barbara Kaiser – 15. August 2025

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