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Allgemein Feuilleton

Luther im Homeoffice – Vor 500 Jahren kam der Reformator unfreiwillig auf der Wartburg an

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Am Ende kommen die Stimmen wieder, die ihn immer plagten: „Luther, Luther! So viel hast du begonnen, was zum Übel ausgeschlagen ist, weil du den Fürsten bist in den Hintern gekrochen, um deines guten Lebens willen! Aber zuvor hattest du Mut in die Herzen der Bedrängten gegossen, dass sie sich bewusst wurden, sie seien als Christenmenschen keine unwürdigen Kreaturen, die jedermann treten und schinden darf! Und nachdem du ihnen so das Tor zur Freiheit geöffnet hattest, hast du es vor ihren Augen wieder zugeschlagen. Und was dann durch dich an Blut und Tod gekommen ist, das ist zehnfach ärger. Du bist schuld an diesem Höllenbrand!“

So wie ihn schon die vermeintliche Bedrängung durch den Teufel auf der Wartburg das Tintenfass werfen ließ, zieht gelebtes Leben, begleitet vom klaren Donnerton des Predigers Thomas Müntzer, vorbei. Man könnte es auch „Gewissen“ nennen, das dem Reformator da schlägt. So jedenfalls wollte es Waldtraut Lewin vor vier Jahren in ihrem Roman „Feuer“, der ein großartiges Panorama ist. Man mochte ja der Meinung sein, es wäre alles gesagt über die Wittenbergisch Nachtigall. Alle Denkmale errichtet, alle Podeste erhöht, alle Filme gefilmt. Wir wüssten Bescheid über Luthers Leben, seine Ehe, seine Krankheiten, kennten den strengen Vater und seien sicher, das „Hier stehe ich…“ zu zitieren. Eine ganze Luther-Dekade – bis 2017, dem Jahr des Reformationsjubiläums – haben wir durchlebt.

Nun aber wird mit einer Ausstellung, die pünktlich heute eröffnet wurde, an den 500. Jahrestag der Ankunft des Mönchs auf der Wartburg erinnert. Da darf man sich getrost den Roman wieder einmal hervorholen. Denn nicht nur Luther war damals im Homeoffice.

Er kam nicht freiwillig, wie wir wissen. Hätten sich manche deutschen Fürsten nicht mit der Idee der Kirchenreformation anfreunden können, schließlich ging es um neuen Besitz bei diesem Protest gegen die römische Kirche und so manches private Schlupfloch für persönliche Begehrlichkeiten, wäre er vielleicht auf dem Scheiterhaufen gelandet und nicht als gekidnappter kleiner Mönch im Asyl.

Aber er war geplagt durch den Coup. Am 4. Mai 1521 auf dem Rückweg vom Reichstag zu Worms bei Eisenach zum Schein entführt und in Sicherheit gebracht, lebte er fast ein Jahr unter dem Schutz des Kurfürsten Friedrich des Weisen, Junker Jörg genannt.

Da nützten auch kein Panoramablick über die Berge und Täler des Thüringer Waldes – er war einsam, gemartert von ständigen Verdauungsbeschwerden und den Anfechtungen durch Zweifel und anderweitige, sehr zwischenmenschliche Abstinenz. Der Teufel blieb an seiner Seite, da half kein Tintenfass.

In der Ausstellung, die noch bis 31. Oktober 2021 gezeigt wird, begegnet dem Besucher der Alltag auf der Burg 1521. Zwischen dem Reisewagen, mit dem Luther ankam, und der ganzen seelischen Pein. Aus der er am Ende aber herausgefunden haben muss durch ein energisches Arbeitspensum. Gegen die Angst. Gegen die Einsamkeit. Gegen alle Bedrängnis.

Siehe auch: www.wartburg.de

[Barbara Kaiser]