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Aktuelles Feuilleton

Der ewige Schelm

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Der Künstler mit seinen neuesten Arbeiten, er bleibt ein Geschichtenerzähler.

Foto: B. Kaiser

Dem Pädagogen und Künstler Georg Lipinsky zum 85. Geburtstag

Der kleine Georg ist ein Sonntagskind! Gerade so. Beinahe wäre es der 10. August, der Samstag, gewesen. Aber im Jahr 1940 hatten die Leute sicherlich andere Sorgen, als sich um Glücksverheißungen für ein Sonntagskind zu kümmern. „Marienkäfer flieg, der Vater ist im Krieg“, hüpft ein kleiner Knirps durch eine Collage dieser 40er Jahre – die Collage als Kunstform wird sein Markenzeichen werden. Die Familie, zu der auch die Schwester Tatjana gehört, wohnt in Ellrich am Harz; der Name der Familie leitet sich ab aus dem slawischen lipa = Linde. 

Jetzt wird Georg Lipinsky, die große, kräftige, slawische Linde, 85 Jahre alt. Er ist in dieser Stadt Uelzen eine Institution. Mit vier Ausstellungen wird der Geburtstag gefeiert: am 17. August in der BBK-Galerie, am 28. September in St. Petri, am 23. November zusammen mit anderen Jubilaren beim Kunstverein und ab 13. Dezember im Museum Uelzen.

Ein Hauptwerk wird dabei die „Konkrete Biografie“ sein, 85 Blätter, die stellvertretend auch durch die Geschichte dieser Generation führen. Collagen, die jeweils ein Jahr summieren, die sich durch persönliche, die deutsche und die internationale Geschichte bewegen. Lipinsky erinnert an Adenauer, den Koreakrieg und an sein Osterzeugnis aus dem Jahr 1951. Als der erste Mann auf dem Mond landet, strahlt der Chronist unter einem Sturzhelm – über allem der göttliche Zeigefinger aus der „Erschaffung Adams“ von Michelangelo. Als Mahnung vor der menschlichen Maßlosigkeit, die bis heute keine Grenze zu akzeptieren scheint? Im Jahr 1976 findet der Betrachter die Ereignisse von Brokdorf neben einem schützenswerten Embryo, als fürchte der bereits die kommenden Atommüllschlachten – bis in die Gegenwart. Und die Kriege…

Kunstwerke von Georg LipinskyFür jedes Jahr ein Bild, in bester Lipinsky’scher Tradition. Eigenes Leben aufzeigend, Zeitumstände fokussierend, Nachdenken anregend, Beurteilung wünschend. Das vor allem. 

Georg Lipinsky sei immer beides, Mensch und Künstler, mit Intensität gewesen, sagte Uelzens Alt-Bürgermeister Otto Lukat anlässlich der Ausstellungseröffnung vor 20 Jahren mit dieser „Konkreten Biografie“, die damals – logisch – erst 65 Blätter umfasste. Er gehöre zu den „herausragenden Künstlerpersönlichkeiten“, die von der Friedensbewegung in ein politisches Amt kamen „und nie bequem“ waren, so Lukat weiter. Und der damalige Museumsleiter in Lüneburg, wo die Ausstellung stattfand, ergänzte: Mit seinen Collagen stünde Georg Lipinsky in der Tradition von Picasso und Schwitters. Der Redner hatte John Heartfield in seiner Aufzählung vergessen, denn Lipinskys Bilder sind auch, vielleicht sogar vor allem, politische Bilder und stehen eher in dieser großen Reihe der Aufklärer.

Georg Lipinsky wurde Lehrer, nicht Berufsoffizier, wie es in der Familie lag. Er ist immer Pädagoge aus Berufung gewesen, seine Erzählungen aus den Tagen der Dorfschule sind heute noch liebevoll. Er genoss bei seinen Schülern Ansehen, besaß Autorität, das ist zu spüren. Er hat sich engagiert für Kultur in der Stadt, ebenso aber auch für dieselbe im Umgang miteinander.

Er hat bis heute den Mut für unzensierte Gedanken, die Bilder des Künstlers sind nie gefällig und löcken oft genug wider den Stachel, fordern heraus zur Standpunktbeziehung. So sollten wir uns also freuen auf oder fürchten vor Einmischung und bildnerische Botschaften mit Hinterlist. Der Mann mit dem normalen Reisepass und dem der „Republik Freies Wendland“ wird 85 und ist zurzeit ziemlich krank. Aber er kämpft, sagt er. Weil er immer zwar ein Kämpfer, aber nie Krieger war. Der Familienvater und Atomkraftgegner, der, wie schockierend seine Arbeiten auch manchmal sein mögen, es nie bis zum Zynismus treibt, weil er weiß, er sitzt im selben Boot wie alle, die er anzugreifen hat, aufzurütteln, wenigstens zum Nachdenken bringen will.

Kunstwerke von Georg LipinskyDie genannten vier Ausstellungen zeigen neben der „Biografie“ auch ganz Neues: Federzeichnungen, die auf zart-zauberhafte Weise Geschichten erzählen. Denn das ist der Titel der Ausstellung im August: „Noch erzähle ich Geschichten“. Die St.-Petri-Exposition zum 65. Geburtstag der Kirchengemeinde nennt sich „Lob der Schöpfung“. Die im Museum heißt schlicht „Jahrgang 1940“. Nicht vergessen sei die Erwähnung der über 60 Terrakotta-Fliesen aus Lipinskys Werkstatt, die in der Stadt auf Lokalgeschichte aufmerksam machen. Oder die rund 20 Kulturkreishefte, die er mit seinen Bildern verschönte.

Georg Lipinsky wird 85 – das ist langes gelebtes Leben. „Ich war immer politisch engagiert“, sagt der Jubilar. Und er freut sich, dass ihn heute sein Enkel agitiert. Dass er es, wenn er aus den Kämpfen der Zeit nach Hause kommt, auch poetisch mag, beweist sein Lieblingsfilm: „Der Sommernachtstraum“. Dazu hatte er zu seinem 75. Jubelfest Freunde und Bekannte ins Kino eingeladen. Jetzt, zehn Jahre später, also vier Ausstellungen. Ein Resümee? „Ja, man muss schon einfach mal reflektieren“, sagt er. Aber ein Ende ist es noch nicht. Herzlichen Glückwunsch!

Barbara Kaiser – 10. August 2025

Initia Medien und Verlag UG