Lebensräume
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Foto: Barbara Kaiser
Der Autor und Musiktherapeut Hans-Helmut Decker-Voigt wird 80
Das Schöne und Aufregende am Alter ist ja, welche Zeiträume man zu überblicken in der Lage ist. So erinnere ich mich genau an die Veranstaltung, als Professor Hans-Helmut Decker-Voigt 60 wurde. Er las aus dem damals aktuellen Buch und Reinhard Schamuhn, in dessen Häuslein die Veranstaltung stattfand, schenkte ihm mit großem Brimborium eine fantasievoll-schreckliche Skulptur, die er höchstselbst zusammengebastelt hatte. Die Uhlenbläser schmetterten ein Ständchen und es gab zahllose, lobende Worte. Das Geburtstagskind wurde als „kultureller Faktor der Region“ belobigt, für „sein regionales Lebenswerk“ anerkannt. Dieses Werk ist in den vergangenen 20 Jahren um einige tausend Buchseiten weiter gewachsen, denn nun wird er schon 80., der Autor, Musiktherapeut, Kolumnenschreiber, Gastprofessor nahezu überall auf der Welt.

Zum 60. erhielt Decker-Voigt von Theaterdirektor Schamuhn eine Skulptur (Foto: Barbara Kaiser)
Manch großer Mime macht es an seinem Geburtstage so: Er sucht sich einen berühmten Dichter, meist ist es sein Liebling, und gestaltet einen literarischen Abend. Zum Fest für das Publikum, zur Feier seiner selbst. Hans-Helmut Decker-Voigt feiert wie immer mehrmals. Seine Hamburger Hochschule gibt einen Empfang ihm zu Ehren, in Allenbostel lassen geladene Gäste den Jubilar hochleben. Und: Am Samstag, 5. April 2025, liest der dann 80-Jährige wieder in Schamuhns Theater. „Mein liebes Leben“ nennt er seinen autobiografischen Roman, der den Abschluss der vielbändigen „Pfarrhaus“-Saga bildet, in der Decker-Voigt die Geschichte seiner Familie über die Jahrhunderte auserzählte.
„Mein liebes Leben“ – meine Tante Gerda sagte immer, wenn sie sich in irgendetwas schickte, denn ihr Leben war ein schweres gewesen: „So ist das bissel Leben“. Das klingt fatalistisch, weil man vieles eben nicht ändern kann. Aber es kommt ja darauf an, wie man „das bissel Leben“ annimmt.
Decker-Voigt erlebte, dass ein Archiv mit seinen Arbeiten eingerichtet wurde (1999), dass es ein Buch, eine Hommage gar, über ihn erschien und er um die 100 Buchtitel publizierte. Auch eins auf Russisch, ein (kinder)psychotherapeutisches Büchlein über das Flusspferd Pummel.

Zum 70. in seinem Haus in Allenbostel (Foto: Barbara Kaiser)
Über des Autors Leben wissen wir, dass es nicht immer leicht war, von langer, zehrender Krankheit geprägt. Deshalb sehen wir dem Kolumnisten, der ein hochbegabtes Kind war, auch so manch selbstverliebte Schnurre nach. Decker-Voigts Geburt in Celle lag zwischen Krieg und Frieden, im März 1945. Als Leser:in der „Pfarrhaus“-Bände, in denen man es erfährt, macht es einen traurig, dass sein Vater, der sein Engagement gegen Hitler in diesen letzten Kriegstagen mit dem Leben bezahlt, offenbar nichts wusste von seinem Kind. Wäre es ihm Trost gewesen? Durch sieben Onkel und Tanten wurde Hans-Helmut verwöhnt, so wie man es mit kranken Kindern meist tut. Vielleicht kommt daher die Freundlichkeit, mit der er ihm begegnender Missgunst, der Verleumdung, dem Hass auch immer entgegentrat. Nie zahlte er mit gleicher Münze. Es gab in diesem langen Leben einige Augenblicke, die zum Knieen zwangen, beispielsweise als sein Haus in Allenbostel brannte und er mit schwersten Verletzungen lange in Krankenhäusern zuzubringen gezwungen war – aufgegeben hat er nie. Hans-Helmut Decker-Voigt ist ein charmanter Mann, ein mit einer Vielzahl an Ehrendoktorwürden ausgezeichneter Hochschullehrer, Sachbuchautor und Therapeut. Er ist ein einfallsreicher, nimmermüder Erzähler, ein flanierender Plauderer mit Manieren, der unprätentiös, alltagserfahren, bilderreich und pointensicher seine Texte ausbreitet, auch wenn seine Wort(er)findungs- und Ableitungsschleifen manchmal Eskapade sind, der man nicht immer zu folgen bereit ist.
Decker-Voigt hat die Erfahrung der Vorläufigkeit von Siegen gemacht, Anfeindungen sind ihm nicht fremd. Die Öffentlichkeit braucht er jedoch wahrscheinlich inzwischen für sich genauso. Was hält ihn aufrecht? Ganz bestimmt seine Frau Christine und die übrige Familie, das Quäntchen Tradition, das er sehr bewusst lebt mit Siegelring und Spazierstock. Und dennoch ist Decker-Voigt offen für neue, andere Erfahrungen, die ihm Jungbrunnen zu sein scheinen und ihn nie in einem Elfenbeinturm festhalten. Auf ihn scheint zuzutreffen, was Goethe, 31-jährig, an seinen Freund Lavater schrieb: „Diese Begierde, die Pyramide meines Daseyns, deren Basis mir angegeben und begründet ist, so hoch als möglich in die Luft zu spizzen, überwiegt alles andre…“ Herzlichen Glückwunsch!
Barbara Kaiser