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Zwischen Magie und Assoziation

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Alexander Iskin in der Ausstellung mit dem Werk "Baum der Missgunst"

Alexander Iskin in der Ausstellung mit seinem Werk “Baum der Missgunst”, Fotos: Barbara Kaiser/Bilder © Alexander Iskin

Zur Ausstellung „All“ von Alexander Iskin im Kunstverein
Vernissage Samstag, 17. Mai 2025, 17 Uhr im Theaterkeller

„Gefühl ist alles, Name Schall und Rauch“, antwortet Faust seinem Gretchen, als die ihn nach der Religion, also einem eher nicht fassbaren Ding, befragt. Eine Art „Gretchenfrage“ ist auch Alexander Iskins Kunst: „Wo faß` ich dich, unendliche Natur?“ muss man sich fragen. Scheint sich der Maler zu fragen. Weil die Bilder als Assoziationen nicht zu greifen sind, weil sie den Kosmos bilden aus multiplem Wechselspiel von Fantasie, Mutation und Transformation, in dem sich der Künstler bewegt. Und so heißt die Ausstellung im Kunstverein folgerichtig: „All“.  Ein Wort, das so umfassend ist wie das Universum (der Kunst).

 

Gemälde von Alexander Iskin neben einem seiner ausgestellten WerkeAlexander Iskin, im Jahr 1990 in Moskau geboren, kann zu jedem Bild etwas erzählen. Manchmal sind diese Geschichten klare Erlebnisse, wie beispielsweise die Begegnung mit dem Wasserfall in einem slowenischen Nationalpark („Himmelstau“). Meist jedoch schlingern die Erzählungen, steigen immer tiefer hinab in eine Recherche, die Neues, Unbekanntes zutage förderte. So etwa bei „Lobster Legend“, das Märchen, in dem der König dieser Krustentiere das Turtle-Island, die Insel der Schildkröten, auf deren Rücken die Welt ruht, unterjocht, kolonialisiert. „Das hat mich traurig gemacht“, sagt Iskin dazu. Und in diesem Augenblick ist er ein kleiner, ganz verletzlicher Junge.

Seine Bilder nennt der Maler Interrealismus. Sie sollen sich also zwischen den Realitäten bewegen. Sind sie Träume? Visionen? Wünsche? Wer wüsste es schon. Sie entstehen im Prozess, sagt Iskin, nicht aus einer Konzeption. Aber: „In der Malerei komme ich auf Ideen.“ Um das, was ein wenig verworren klingt, an einem Beispiel zu demonstrieren: Die Geschichte vom Lobsterkönig und den Schildkröten gebar als Bild zusätzlich das Wissen um das schwere Leben der kleinen sympathischen Wesen mit dem Panzer, die zwischen Wasser und Land pendeln. Und daraus folgte die Initiative, in diesem Sommer ein Volontariat in einem Schildkröteninstitut in Mexiko zu absolvieren. Zusätzlich entsteht ein Buch dazu, ein paar Kapitel gibt es schon… Alexander Iskin strahlt, wenn er davon erzählt: „Vielleicht ist das ein Beispiel, wie Interrealismus funktionieren kann; wie Ideen aus der Malerei in die Wirklichkeit kommen können.“

Gemälde von Alexander Iskin: HimmelstauDer 35-Jährige hat Mathematik und Philosophie studiert, später Bildende Kunst. „Ich habe kein Studium abgeschlossen“, bekennt er, „ich habe studiert aus Interesse.“. Als die erste Ausstellung anstand, brach er auch das Kunststudium ab. Er scheint hin und her gerissen zwischen seinem Faustschen Drang „zu erkennen, was die Welt im Innersten zusammenhält“ und der Erkenntnis, um bei Goethe zu bleiben, „daß wir nichts wissen können“. Obwohl wir das glauben. Jedenfalls redet Iskin genauso eloquent über Quantenphysik wie über Musik (er spielt Cello). Er war ein talentierter Tischtennisspieler mit Ambitionen auf höhere Ligen, aber diese Blase war ihm zu klein, gibt er zu. Es war eher ein Wunsch seines Vaters, der Mathematiker ist; die Mutter studierte am Konservatorium Moskau, ist Geigerin. Im Jahr 1992 kam die Familie nach Deutschland.

Klingt das nach Entwurzelung? Ich frage Alexander Iskin danach. „Am wohlsten fühle ich mich im Flugzeug“, antwortet er. „Wurzeln? Vielleicht kommt`s noch?“ Er hat in zahllosen Orten der Welt gearbeitet, er ist ein Getriebener. Er hat einen Film über die Berliner Subkultur gedreht und schreibt Novellen (auf diesem Begriff besteht er). Warum ausgerechnet Novellen, die Goethe als eine „sich ereignete unerhörte Begebenheit” definierte. Die also eine Geschichte erzählen, die wirklich passiert sein soll, die außergewöhnlich oder ungewöhnlich oder sogar skandalös ist. Vielleicht erzählen die Bilder von Alexander Iskin auch solche Geschichten. Bestimmt sogar. Aber es sind für jeden Betrachter andere, das sei behauptet.

Gemälde von Alexander Iskin: Neptun I„Die Interpretation ist die Rache des Verstandes an der Kunst“, sagte die Publizistin Susan Sonntag. Versuch: In den großen Ölbildern Iskins bildet Geistiges und Emotionales eine Melange, die kaum zu beschreiben, nur zu empfinden ist. Es sind Fantasieschauspiele voller Fabulierkunst zwischen Wahrheit, Traum und Realität. Wahrheit ist zum Beispiel, dass der Maler eine besondere Affinität und Verbindung zu Wasser verspürt. Seine beiden Neptun-Arbeiten sind ein Beben im Raum-Zeit-Kontinuum. „Neptun I“ – freundlich mit viel Blau, das andere, „Neptun II“, erschreckt einen eher. Vielleicht klingt darin das Grollen des Meeresgottes über die unglaubliche Verschmutzung, die die Menschen den Weltmeeren antun und sie so zu Kloaken verkommen lassen, in denen Plastikteppiche ungeheuren Ausmaßes treiben. Kunst kann uns auch das Gleichgewicht verlieren lassen – bis wir einen neuen Schwerpunkt finden. Die Bilder „Neptun“ wären so eine Gelegenheit. Hat Alexander Iskin Angst davor, dass die Farbigkeit seiner Bilder nur Buntheit ist? Dass die Überfülle seiner Angebote an den Betrachter ins Leere kippt? Ich weiß es nicht. Vielleicht übt sein Interrealismus den Zusammenstoß zwischen falschem Schein und verborgenem Sein? Oder um noch einmal Goethe zu bemühen: Haben seine Bilder „die höchste Wahrheit, aber keine Spur von Wirklichkeit“? (Über den Landschaftsmaler Claude Corrain)

Es sind farbstarke Spektren, die Geschichten erzählen (wollen), die Großformate, die noch bis zum 15. Juni 2025 in der Galerie des Kunstvereins zu sehen sind. Die auch mit Begriffen spielen. Zum Beispiel der „Baum der Missgunst“. Missgunst heißt auf Spanisch „Envidia“ – genauso wie eine große Firma, die Chips für die KI produziert. Das Bild knallt mit viel Orange, über das man fast mühelos „Trump“ denkt, weil man auch eine Clownsmaske darauf auszumachen glaubt. Einen Zusammenhang zwischen allem stelle jetzt jeder für sich her.

Gemälde von Alexander Iskin: Laika kehrt zurückDass der mehrfach Begabte Iskin auch Tiere liebt, offenbart sich nicht nur in dem Bild „Laika kehrt zurück“.  Die Hündin Laika wurde 1957 als erstes Lebewesen von der Sowjetunion ist All geschossen. Ein Propaganda- und Prestigeunternehmen. Dass das Tier nach wenigen Stunden qualvoll in der Raumkapsel an Überhitzung starb, kann jeden Tierfreund umtreiben. Solche Experimente waren immer unethisch. Dass Alexander Iskin von dem Schicksal des Hundes überhaupt weiß und ein Bild dazu malte, weil er Mitleid empfindet und sich vorstellen will, dass Laika vielleicht nach ihrer langen Odyssee zurückkehrte – das ist eine Verquickung, zu der vielleicht nur Künstler fähig sind. Es ist auf wunderbare Weise anrührend.

„Ich bewege mich in einem Kosmos“, sagt Alexander Iskin, „darin kommt mir dann manchmal was entgegen, das für mich Bedeutung hat.“ So entsteht bei ihm eine Geschichte. Ob als Bild, als Novelle, als Film oder als Buch. „Wir Künstler sind ja Schwämme, wir saugen alles auf“, weiß er. Es ist dem sympathischen jungen Mann zu wünschen, dass der Kosmos, der ja ein sehr luftdünner Raum ist, ihn weiterträgt.

Barbara Kaiser – 15. Mai 2025

Initia Medien und Verlag UG

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