„Dran, dran, es ist Zeit!“
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Das runde Panorama-Museum Bad Frankenhausen wurde 1989 eröffnet, Foto: Barbara Kaiser
500 Jahre Bauernkrieg – eine Reise ins Thüringische
Auf den Tag genau 500 Jahre später, am 15. Mai 2025, standen mein Mann und ich vor dem Gedenkstein für Thomas Müntzer auf dem Schlachtberg über Frankenhausen. Wir waren zu Fuß nach oben gestiegen, nicht mit dem Auto bequem bis zum Parkplatz des Panorama-Museums gefahren. So viel Respekt und Verbeugung muss schon sein vor dem mutigen Unterfangen, die Welt ein wenig sozialer, gerechter und freier einzurichten. Thomas Müntzer ist in diesem Zusammenhang mein Held! Martin Luther hatte sich zu diesem Zeitpunkt schon lange unter die Röcke der adligen Herrschaft verkrochen, wurde immer fetter und hetzte gegen die aufständischen Bauern und ihre Anführer, von denen Thomas Müntzer einer war.
„Tut Gott den Dienst und vertilgt diese untüchtige Obrigkeit“, predigte Müntzer. Und: „Die Herren sind selbst schuld, dass der arme Mann ihr Feind wird.“ An die Mansfelder Bergleute schrieb er im Frühjahr 1525: „Dran, dran, es ist Zeit!“. Dafür nannte ihn Luther den „Satan von Allstedt“ und bescheinigte dem Kurfürsten Friedrich noch Jahre nach der Hinrichtung Müntzers, er habe das genau richtig getan.

Gedenkstein für Thomas Müntzer auf dem Schlachtberg, Foto: B. Kaiser
Bad Frankenhausen und Mühlhausen feiern in diesem Jahr unter dem Motto „500 Jahre Bauernkrieg – Freyheit 1525“. Gut, Werner Tübkes 1800 Quadratmeter großes Gemälde – 14 Meter in der Höhe und 123 Meter im Umfang – ist seit seiner Einweihung im Jahr 1989 immer eine Reise wert gewesen, ich war auch nicht das erste Mal dort. Es war mit 96 Millionen DDR-Mark das teuerste Museum jenseits der Elbe. Und es huldigt auch nicht nur dem Bauernkrieg, sondern entwirft ein riesiges Panorama der gesellschaftlichen Verhältnisse vor 500 Jahren. Der Künstler nannte es „Frühbürgerliche Revolution in Deutschland“, und es ist gut, dass es auch im heutigen Prospekt so steht. Über 3000 Einzelfiguren erzählen in einer faszinierenden Fülle, angereichert mit Allegorien und mit einer geistigen Komplexität, die ihresgleichen sucht, von Geschichte, Persönlichkeiten, historischen Entwicklungen und Vorgängen. Mittelpunkt ist die große Schlacht im Mai 1525, die den Aufruhr der Bauern, Handwerker und Bürger in ganz Deutschland abschloss. Mit einer verheerenden Niederlage endete die gepredigte Ankündigung Müntzers: „… wenn ihr nicht der Tyrannei abschwört, wird das Volk euch zerschmettern.“ Leider verkannte er seine und die Lage seiner Gefolgsleute. Allein in Frankenhausen zählte man am Ende 6000 Niedergemetzelte, während die Gegenseite kaum Opfer hatte. Denn die Rache des Adels, in diesem Falle der Grafen Ernst von Mansfeld und Philipp von Hessen, war gnadenlos.
Zwölf Tage wurde Thomas Müntzer in der Burg Heldrungen durch seinen Erzfeind Ernst von Mansfeld gefoltert, dass er abschwöre. Er tat es nicht. Er wurde nach diesem Martyrium geköpft und gepfählt, seine Frau Ottilie von Landsknechten vergewaltigt. Danach machten die Protokolle der Sieger aus Thomas Müntzer einen Ketzer. Auch Luther beteiligte sich an dem Rufmord. Vernichtet aber haben sie ihn nicht. Auch, weil sie die eigene Verantwortung für das Aufbegehren der Bauern und die Berechtigung ihrer sozialen Forderungen nicht allein auf einen satanischen Verführer abschieben konnten.

Werner Tübke arbeitet zehn Jahre an seinem Meisterwerk, 1800 Quadratmeter, Foto: B. Kaiser
Wie lebendig Thomas Müntzer ist, zeigen die Feierlichkeiten. Obwohl er auf Werner Tübkes Gemälde die Bundschuhfahne gesenkt hat, die Niederlage wohl kommen sah, in Mühlhausen ist er ziemlich allgegenwärtig. Drei Ausstellungen und eine Reihe Souvenirs lassen den Reformator und mutigen radikalen Prediger hochleben. Meine Kühlschranktür ziert seit der Reise ins Thüringische ein Magnet mit der Aufforderung an die Bergleute: „Dran, dran, es ist Zeit!“ Ein immer noch gültiger Spruch, finden Sie nicht, liebe Leserinnen und Leser?
In der Hauptkirche Mühlhausens, in St. Marien, gibt es die Landesausstellung zum Jubiläum zu sehen, die die Lebensumstände der damaligen Zeit beleuchtet. In der Kornmarktkirche erfährt der Besucher alles über den Ablauf der Bauernerhebungen im gesamtdeutschen Raum. Und im Museum werden die Nachwirkungen der Zeit (Reformation/Bauernkrieg) vorgestellt. Vor der Kornmarktkirche steht zudem seit April 2025 ein sieben Meter hohes Denkmal: Im Jahr 1525 zeichnete Albrecht Dürer den Entwurf für die im Bauernkrieg Geschlagenen. Er zeigt einen in sich zusammengesunkenen Bauern auf einer Säule aus mehreren übereinander aufgetürmten Gefäßen, Erntegaben und Werkzeugen seines Standes. Der Bauer stützt seinen Kopf auf seinen rechten Arm, in seinen Rücken ist ein Schwert gestoßen. Zu Dürers Lebzeiten wäre die Errichtung eines solchen Denkmals völlig undenkbar gewesen. Anlässlich des 500-jährigen Jubiläums und der Landesausstellung wurde es jedoch als Gemeinschaftsprojekt und dank der Spenden zahlreicher Bürgerinnen und Bürgern der Stadt Mühlhausen realisiert. Der Künstler Timm Kregel aus Gorsleben/Kyffhäuserkreis erschuf die Bronzeskulptur mit Sockel. Es ist erfreulich, dass, während anderswo Kulturmittel radikal zusammengestrichen werden, in Thüringen offenbar noch etwas geht…
Zu den Ausstellungen: Leider kann ich nicht so begeistert und euphorisch darüber berichten, wie ich es über die „Faust“-Ausstellungen in Weimar tun konnte (siehe: „Gewimmel in Weimar“). Die Mühlhäuser Expositionen kommen mit zu viel Bild-Text-Tafeln daher, es gibt kaum historische Gegenstände, nicht mal eine große Bundschuhfahne konnte man replizieren! Und Multimedia – meist Fehlanzeige. Auch haptisch gibt es außer einem Stück waidgefärbten Stück Leinen und der Pflanze dazu nichts anzufassen. Also: Finger weg von historischen Dokumenten, abgesehen davon, dass sie hinter Glas liegen, und Ölgemälden. Es ist schade, dass eine Chance, eine Möglichkeit verschenkt wurde, auch Geschichtsuninteressierte zu fesseln, sie zu berühren und anzuregen, auch weiterzulesen. Dabei tut Bildung doch Not, wie eine begeisterte Dame vor Mikrofon und Kamera belegte: Sie war nämlich total überrascht, dass es bei Thomas Müntzer schon die Regenbogenfahne gab und die keineswegs eine Erfindung der Queeren-Bewegung des 20. Jahrhunderts ist. In Geschichte 7. Klasse hat sie wohl gefehlt; oder die Stunde war ausgefallen…

Monument nach einem Entwurf von Albrecht Dürer: Der geschlagene Bauer, Foto: B. Kaiser
Obgleich ich Gewalt grundsätzlich missbillige (solange das aber nicht alle so sehen, ist sie wohl unvermeidlich), halte ich Thomas Müntzer für einen mutigen Mann, der in seinen Predigten charismatisch gewesen sein muss. In anderen Museen lässt man Persönlichkeiten mit Hilfe der KI auferstehen, in Mühlhausen braucht man eigene Fantasie. Dass Müntzer entschlossen in die Fußstapfen von Jan Hus trat, der schon 100 Jahre vorher seine ähnliche Überzeugung auf dem Scheiterhaufen büßte, bleibt bis heute Tatsache. „Die jungfräuliche Kirche ist zur Hure geworden!“, predigte Müntzer. Vielleicht kennt der neue Papst diesen Satz auch? Denn seine kapitalismuskritische Antrittsrede war eine, die hoffnungsfroh machen konnte. Vielleicht.
Barbara Kaiser – 20. Mai 2025