… nicht nur „freiwillige Leistung“!

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Fotos: Kaiser

Talkrunde im Neuen Schauspielhaus wiederbelebte das Schamuhn-Format „3 nach 8“ und redete über den Wert von Kultur

Es ist wieder einmal geboten, Friedrich Schiller zu zitieren. Der hat ja in der nächsten Woche Geburtstag und verfasste an Kunst und Kultur dieses Epigramm: „Was ich ohne dich wäre, ich weiß es nicht; aber mir grauet/ seh ich, was ohne dich Hundert`und Tausende sind.“  Man sollte diesen Spruch alle Entscheidungsträger auswendig lernen lassen, auf dass sie sich vergegenwärtigen, dass die Menschen ohne Kultur in die Barbarei fallen. – Für Reinhard Schamuhn schloss „Kultur“ immer auch den kulturvollen Umgang miteinander ein; so gesehen ist es gut, dass ausgerechnet in seinem kleinen Haus, dem Neuen Schauspielhaus, die Diskussionsrunde „3 nach 8“ zum Thema „Was ist Kultur uns wert“ wiederbelebt wurde. Begonnen hatte die im Jahr 1987, wie Johannes Vogt-Krause (noch für diese Woche Theaterdirektor, dann erfolgt der Wachwechsel) es referierte. Es gab Diskussionen zu „Rettet das Dorf, den Bauern die Natur“ und „Wohin geht die deutsche Reise“ (1989) oder „Kunst am Bau“ und „Liebe, Kunst und Eifersucht“. Dann sei die Reihe eingeschlafen, sagte Vogt-Krause. Was nicht ganz stimmt. Es gab im Jahr 2003 einen „Politischen Karfreitag“ mit den Gästen Jacques Voigtländer, Mitglied des Landtages für die SPD, und Marco Haase, Sprecher der Schill-Fraktion der Hamburger Bürgerschaft. Rechts gegen halblinks also – es ging ziemlich unentschieden aus. Und im Jahr 2004 traf man sich, in Zeiten von Depression, ziemlicher Ratlosigkeit und politischem Aktionismus, um gegen Harzt IV anzudiskutieren. Dann aber schlief die Runde wirklich ein…

Johannes Vogt-Krause, India Roth (Jahrmarkttheater) und Valentino Karl (Kulisse Eimke)

Nun also wurde sie, mit Aussicht auf Kontinuität, wachgeküsst. Auf dem Podium saßen neben Johannes Vogt-Krause und Matthias Untz als Moderatoren India Roth (Jahrmarkttheater Bostelwiebeck), Janina Fuge (Kulturkreis Uelzen), Katja Schaefer-Andrae (Kreistagsmitglied/Grüne und BBK-Mitglied), Valentino Karl (Kulisse Eimke) und Daniel Orthey (Musikschule). Was ist ihnen Kultur wert? Oder ist der wahre Wert der Kultur der Warenwert?

Die Anwesenden durften erzählen, was sie antreibt, weshalb sie die Kultur zum Lebensthema gemacht haben. Natürlich drehten sich die Erzählungen um die jeweilige Person, aber es wurde deutlich, dass Kunst und Kultur einen Menschen „durch schwierige Zeiten bringen“ können (Orthey), man solchen Erlebnissen „die wertvollsten Momente des Lebens“ (Fuge) verdankt, sie einen „gemeinsamen, analogen Erfahrungsraum“ (Roth) schaffen und Menschen gemeinsam sich „unterhalten, freuen, nachdenken, bilden, Austausch leben lassen“ (Vogt-Krause). Es sei Aufgabe von Kunst und Kultur, identitätsstiftend und, verdammt noch mal, auch heilsame Katharsis zu sein Thomas Matschoß/Jahrmarkttheater). Die Bühne als „moralische Anstalt“ – siehe auch „Die Kraniche des Ibykus“! Und da ist von so großen Worten von „Demokratiestabilisierung“ und „Bildungsauftrag“ noch nicht die Rede.

Dr. Janina Fuge (Kulturkreis) und Daniel Orthey (Musikschule)

Natürlich wurde auch übers Geld geredet. Das Statistische Jahrbuch 2021 weist für Deutschland Kulturausgaben von mageren 180 Euro pro Kopf aus. Kleiner Lichtpunkt ist vielleicht, dass die Ausgaben von 14,9 Milliarden im Jahr 2025 um 2,5 Milliarden steigen werden; das wären dann gerade 212 Euro pro Kopf… Von den Anwesenden der Talkrunde beschwerte sich keiner sehr laut. Und niemand mochte auch in ein Bashing des Landkreises einstimmen, obgleich es dafür allen Grund gäbe, wie die staunenden Zuhörer:innen erfuhren (Verweigerung von kommunalen Ko-Finanzierungen, die einen Antrag auf Fördermittel erst ermöglichen). Einig waren sich am Ende aber alle, dass Kulturausgaben raus müssen aus der Rubrik „freiwillige Leistung“. Es war aber auch unvorstellbar, dass in diesem Saale einer aufgestanden wäre und sagte: Kultur braucht doch kein Mensch. So gesehen war es ein einfacher Abend der Übereinkunft.

Ein trotzig-aufmüpfiger Vorschlag kam aus dem Publikum (Rechtsanwalt Gerd Wasner), der verlangte, Kultur müsse von denen gefördert werden, die das Geld hätten. „Es gibt viel Geld und viel Eitelkeit“, sagte er, „und das lässt sich in Kanäle für Kultur umleiten.“ Die Bedenken, dass dann auch die Einflussnahme dieser Geldgeber wüchse (Ute Lange-Brachmann), sind sicherlich nicht von der Hand zu weisen. Aber das Preisgeld für den Bergengruen-Preis zahlt beispielsweise Verleger Dirk Ippen – und hat der schon mal einen seiner Spezln ins Gespräch gebracht? Sicher nicht. Aber wie wäre es mit Erbschaftssteuer, Vermögenssteuer, Börsentransaktionssteuer, Spekulationssteuer…. Es müsste nur politisch gewollt sein.

Katja Schaefer-Andrae (BBK) und Matthias Untz.

In einem Museum in Prag war in den Räumen einer Ausstellung folgendes Schild zu lesen: „Don`t touch the art – the art will touch you“. Schön, oder? Aber damit Kunst den Menschen berührt, muss der dafür sensibilisiert werden. Von Kindheit an. Also wäre zuerst in Bildung zu investieren, in musische auch. Weil am Ende immer zählt, was sich vermeintlich nicht rechnet: der geschulte Sinn für Schönheit, die Ergriffenheit durch  Musik, das Mitleiden, das Mitfreuen, die Erkenntnis. Das alles bringen Kunst und Kultur, wenn man sich darauf einlässt und das wiederum nicht von vornherein am Geldbeutel scheitert.

Barbara Kaiser – 06. November 2025