Besuchen Sie den Freiberger Dom und sehen Sie selbst!
Es galt, im zu Ende gehenden Jahr eine Schönheit zu feiern. 800 Jahre wurde sie alt.
Die Schriftstellerin Sabine Ebert erzählt in ihrem jüngsten Roman („Der Silberbaum“, Bd. 2) über die Jubilarin wie folgt: „Als Mathilda vor dem vergoldeten, siebenstufigen Portal stand, mit farbenprächtigen Figuren auf den Säulen und der biblischen Geschichte in Stein gehauen, erstarrte sie vor Ehrfurcht… So erging es jedem, der das erste Mal vor der Goldenen Pforte stand.“
Bereits seit 1524 nennt man das Portal »gulden thure«. Die Goldene Pforte gilt als eines der herausragenden Kunstwerke europäischer Spätromanik und ist nicht nur für die sächsische Denkmallandschaft einzigartig. Das Sandsteinportal mit seinen zahlreichen figürlichen Verzierungen entstand um 1225, als Freiberg durch einen florierenden Silberbergbau reich war. Genau wie der Markgraf von Meißen und seine Nachkommen (Über einen von ihnen geht das neue Buch von Sabine Ebert, das wieder ein Feuerwerk des historischen Panoramas zündet!). Ursprünglich war die Pforte das Hauptportal der romanischen Marienkirche, des Vorgängerbaus des heutigen Domes. Sie zeugt von einer überragenden künstlerischen Meisterschaft. Leider ist sie heute nicht mehr „gülden“, und der Eingang, das Hauptportal der damaligen Basilika, ist sie auch nicht mehr.
Aber durch den Torbogen mit neun reich geschmückten Bändern näherte sich der Eintretende sozusagen dem vorweg genommenen prachtvollen Himmelstor. Auf ihm sind die Superstars der ganzen Welt versammelt. Prophet Daniel, König Salomon, Johannes, der Täufer, Bathseba und sogar die Königin von Saba huldigen Maria mit dem Kinde. Geschichtenerzähler, Kino und Fernsehen von vor 800 Jahren!
Die Stadt Freiberg feierte in diesem Jahr selbstbewusst und lud zu zwei Festwochen ein, die fast 3000 Besucher anzogen. Neben der Bewunderung standen Konzerte, Führungen und Andachten; mit Musik, Sprache und Licht wurde das Portal in Szene gesetzt und ein Banner, eine Imagination der früheren Pracht, schmückte den Dom. Ein fachliches Symposium versammelte Kunsthistoriker und Denkmalpfleger. Von der Goldenen Pforte gibt es zahlreiche Kopien, die sich unter anderem heute in Cambridge und New York, im Puschkin-Museum in Moskau und im Museum der Bildenden Künste in Budapest befinden. Für die Denkmalpflege bleibt die Goldene Pforte zwar ein immerwährendes Thema – von ihrer Schönheit hat das Eingangstor jedoch, obgleich ihr das Gold und die Farben fehlen, nichts eingebüßt.
Und überhaupt: Der Dom. Die meisten denken ja bei Sakralbauten jenseits der Elbe nur: Frauenkirche. Freiberg ist nur 35 Kilometer von Dresden entfernt und steht keineswegs im Schatten der Landeshauptstadt. Genau wie Meißen elbabwärts nicht, dessen Burgberg ebenfalls in neuem Glanz erstrahlt. Der Herrschaftssitz der Wettiner, von Otto, dem Reichen und seinen Nachkommen, erhebt sich stolz über dem Fluss.
In Freiberg soll der Baumeister Hans Witten vor über 500 Jahren tot am Fuße seines faszinierenden Bauwerkes zusammengesunken sein, will die Legende wissen. Als Strafe für so viel Ketzerei. Es ist aber auch nur Kühnheit zu heißen, was er ersann. Seine Kanzel für den Dom nennt man Tulpenkanzel, eine großartige Schöpfung spätgotischer Kunst. Sie ist so etwas wie die 95 Thesen von Martin Luther, wie die Fürstenpredigt eines Thomas Müntzer, wie das neue Weltbild von Kopernikus. Diese Kanzel hat nichts mit den bisherigen Vorstellungen von Kanzeln zu tun. Sie steht frei im Raum, aus dem Boden gewachsen wie eine fantastische Blume. Sie ist kraftvoll und selbstbewusst wie die Stadt, die sich das dazu gehörende Gotteshaus von 1180 bis 1500 schuf, und deren Reichtum ebenfalls aus dem Boden kam. –
Der Mensch vergisst Schönes ja viel zu schnell. Als ich vor 50 Jahren hin und wieder zu den allwöchentlichen sommerlichen Abendmusiken in den Dom ging, tat ich das einem Verehrer und der Großen Silbermannorgel zuliebe. (Oder in umgekehrter Reihenfolge) Für die Kunstwerke der dreischiffigen spätgotischen Hallenkirche und deren Genialität hatte ich keinen Blick. So stand ich bei einem erneuten Besuch nach zahlreichen Jahren wie jeder andere Tourist auch: Atemlos vor so viel Unwiderstehlichkeit.
Ende des 12. Jahrhunderts baute sich die im Aufschwung befindliche, durch den Silberbergbau reiche Stadt Freiberg die romanische Kirche St. Marien. Zweihundert Jahre später wird diese erneuert und noch einmal einhundert Jahre danach durch Papst Sixtus IV. zum Dom erhoben. Dem großen Stadtbrand von 1484 fällt ein großer Teil des romanischen Ur-Baus zum Opfer, erhaltene Teile jedoch werden in den sofort begonnenen Neubau integriert.
Spannendes erzählt auch das Innere der Hallen: Hier eine Epistel über die törichte und kluge Jungfrau, versinnbildlichend das Gleichnis Christi. Dort ein Gedicht über das Altargemälde, das der wohlhabende Münzmeister Rothe stiftete und auf dem alle Freiberger Ratsherren das Abendmahl mitfeiern, so selbstbewusst ist man. Einen ganzen Roman über die beiden Königslogen, die glatter Stilbruch sind. Landesbaumeister Pöppelmann, Zwingerarchitekt, hat sie für seinen König, den Starken August, entworfen. Hier vergeht er sich allerdings als barocker Frevler – vielleicht stimmte das Honorar nicht? Es muss damals so ausgesehen haben, als baute man heute an ein schönes altes Bürgerhaus eine Wellblechgarage. Zudem hat August seinen Platz nie benutzt, denn er war ja zum Katholizismus zurückgekehrt. Der Preis für die polnische Königskrone, die ihm als Protestant nie auf den Kopf gesetzt worden wäre. Mehr Macht gegen ein Stück Gesinnung – ein gängiger Tausch schon immer!
Ein stilvolles Sonett ließe sich über das bemalte Kreuzgewölbe rezitieren, aber eine lange Ode gilt es natürlich anzustimmen an die Silbermannorgel! Ihre Klangfülle beschleunigt den Puls. Im Sommer 1714 wurde sie geweiht. Der Meister stimmte sie selbst, sieben Achtel Ton höher als den Kammerton. Das war wohl jener Unterschied zwischen Durchschnitt und Größe, der es bis heute Chören erschwert, nach Silbermanns 2574 Pfeifen zu singen.
Im Dom zu Freiberg fällt noch eines auf: Nirgendwo in einem Gotteshaus sonst gibt es wahrscheinlich so viele Bergleute. Sie stützen schon an der Außenfassade das Gemäuer, sitzen am Fuße der Tulpenkanzel, tragen die zweite Kanzel des Doms, die Bergmannskanzel, auf den Schultern. Der Bergverständige heißt Daniel, so wie der Heilige in der Löwengrube. Die Bergleute haben ihn sich zum Schutzpatron erwählt, weil es in allen Gruben gefährlich ist! Der Schöpfer der Tulpenkanzel nahm diese Assoziation nicht ganz so ernst, denn er gab seinem Daniel einen kleinen Hund an die Seite, der furchtlos die gefährlichen Bestien wegbellt. Der Wettiner Löwe ruht friedlich unter der Kanzeltreppe.
Als sich rund um den Reformationstag im Jahr 2005 die Medien überschlugen, um aus Dresden die eindrucksvollsten Bilder von der Weihe der Frauenkirche zu übertragen, läuteten die sechs Glocken des Freiberger Domes vielleicht leise mit. Ganz gelassen über die naseweise Schöne in der benachbarten Landeshauptstadt. Denn eine Große Silbermannorgel hat die Neue eben nicht! Von anderen alten Kostbarkeiten wie einer Goldenen Pforte ganz zu schweigen…
Barbara Kaiser – 25. Dezember 2025