Volles Haus zu Schillers Ehren
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Bühne Cipolla erzählte des Dichters Balladen mit Musik
Das Cipolla-Ensemble hat einen guten Ruf, was künstlerische Umsetzung und handwerkliche Perfektion angeht. Jetzt waren Sebastian Kautz (Rezitation) und Gero John (Violoncello) im Neuen Schauspielhaus mit Schillers Balladen zu Gast und entzündeten aus Text, Figuren und Musik ein Feuerwerk, das atemlos machte. Die Zeile aus dem „Taucher“, die zum Motto ward, verrät es schon: „Wie wenn Feuer und Wasser sich mengt“. Friedrich Schiller – an dessen 220. Todestag in diesem Jahr zu erinnern ist, obgleich ganz Weimar derzeit den 250. Jahrestags der Ankunft von Goethe in der Stadt feiert. Ach, Friedrich, der völlig zu Unrecht in dessen Schatten steht. Schiller, der Feuerkopf aus Schwaben, Karlsschüler und Dichter, Professor in Jena, Hofrat in Weimar und – Ehrenbürger der Französischen Revolution.
Es hätte ihm gefallen, dass man dem Dichter noch im Grabe Bewunderung zollt. Ja, das hätte es… Das Programm, mit dem die Gäste (Figuren und Bildern von Melanie Kuhl) reüssierten, wäre ganz nach seinem Geschmack gewesen. Die beiden Akteure verließen sich ganz auf den Text der sechs Balladen. Sebastian Kautz balancierte unglaublich überzeugend und sicher auf dem sehr schmalen Grat, wo Pathos – und bei Schiller gibt es eine Menge davon – zwischen wahrer Ergriffenheit und Lächerlichkeit immer Gefahr läuft, nach einer Seite abzustürzen. Wer hätte beispielsweise gedacht, dass „Die Bürgschaft“ heute wirklich noch anrühren kann? In der Interpretation von Kautz tat sie es. Und die viel zu oft beschworene Gänsehaut und den Kloß im Hals gab es auch bei: „Mich Henker! ruft er, erwürget,/Da bin ich, für den er gebürget!“/Und Erstaunen ergreifet das Volk umher,/In den Armen liegen sich beide,/Und weinen für Schmerzen und Freude.“ Denn sehnen wir uns nicht alle nach den uralten Werten? Wie Freundschaft – die nicht nur virtuell ist!
So wurde Friedrich Schiller der Platz nicht streitig gemacht, der ihm gebührt. Ein Augenzwinkern hier vielleicht, ein Fragezeichen dort. „Die Kraniche des Ibykus“ und die Macht des schlechten Gewissens. Die unglückliche „Kassandra“: „Wer erfreute sich des Lebens, der in seine Tiefen blickt?“ Der todesmutige „Taucher“ und die Erzählung vom Missbrauch der Liebe („Der Handschuh“). Und der „Ring des Polykrates“ – erstickt der eigentlich am Ende vor Selbstgefälligkeit endlich an so viel „des Lebens ungemischte Freude“, die „keinem Irdischen zuteil“? – Es war eine fröhliche, bunter, rasante Grablegung. Schlimm genug, dass man bis heute nicht weiß, wo des Dichters Gebeine abgeblieben sind und man sich in der Fürstengruft vor dem leeren Sarg verbeugen muss. Weil die Stadt Weimar, der Hof, sein Kumpel Goethe oder irgendein anderer Mäzen im Jahr 1805 kein Geld aufzubringen gewillt waren für eine einzelne Grabstelle; ein sehr frühes Beispiel für Kulturmissmanagment!
Es ist im Mai 220 Jahre her, dass der große Dichter die Augen für immer schloss. Mozart wurde zur Trauerfeier gespielt und das helle Kinderlachen der noch nicht einjährigen Tochter Emilie soll letzten Abschied gewunken haben. Aber solche Programme wie das von Kautz, John und Kuhl in kongenialem Zusammenspiel, das viel Bewunderung für eine Sprache hat, die das Wort gediegen noch verdient, tragen eine Menge dazu bei, dass Schiller unsterblich bleibt.
Die Bühne heißt ja Cipolla. So wie der Magier in Thomas Manns Novelle „Mario und der Zauberer“. Es waren 90 Minuten der Verzauberung, anmutiger Beseeltheit und der Droge glückhafter Begegnung mit einem Dichter, der immer noch sehr aktuell sein kann. Dem Sebastian Kautz mit einer Stimme zum Niederknien, ganz viel richtig dosierter Empathie und einem Kraftaufwand, der nirgendwo schwer lastete, Leben einhauchte. Und den ein samtweiches Cello begleitete in die Höhen der Kraniche und die Tiefen der Meeresstrudel. Einfach wunderbar!
Barbara Kaiser – 16. Februar 2025