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Tanz auf dem Vulkan

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Das Erfolgsmusical „Cabaret“ kam in der „Kulisse“ Eimke auf die Bretter

Die Überschrift ist bewusst gewählt, denn ein wenig literarische beziehungsweise filmische „Vulkan“-Vorlage brodelte auch auf der Bühne des Theaters „Die Kulisse“ in Eimke. Das Ensemble spielte das Erfolgsmusical von John Kender: „Cabaret“.

„Tanz auf dem Vulkan“ war der vielleicht letzte UFA-Film (1938), der vor dem endgültig verordneten Gleichschritt der Rebellion huldigte. Wenn auch versetzt nach Frankreich unter Karl X., der 1824 den Thron bestieg. Ein hinreißender Gustaf Gründgens sang damals „Die Nacht ist nicht allein zum Schlafen da“ und es schrie „Rebellion, Rebellion in den Katakomben“, was Goebbels sehr missfallen haben soll. „Der Vulkan“ wiederum heißt der Roman von Klaus Mann nur ein Jahr später (1939),  Emigrantenschicksale beschreibend wie das eigene. Alle Personen in diesem Buch hatten, ihr nacktes Leben zu retten, Deutschland verlassen.

Foto: Olaf Potent

Das alles darf einem einfallen vor dieser Inszenierung. Die besorgte Annette Krossa, ihr standen Tjaard Kirsch als musikalischer Leiter und Lena Inter als Choreografin  zur Seite. Ein sehr fähiges Ensemble, stimmlich auf jeden Fall auf der Höhe der Aufgabe und sehr erotisch, spielte, sang und tanzte sich zweieinhalb Stunden lang durch die bittersüße Geschichte von Sally (überzeugend: Annette Krossa) und Cliff (charmant-zurückhaltend: Valentino Karl), Fräulein Schneider und Herrn Schultz (anrührend in ihrer späten Liebe: Claudia Reimer, Helge van Hove), von Conférencier MC (manchmal ein wenig grell: Soufjan Ibrahim) und den Girlies aus dem Nachtclub „KitKat“. Das Orchester imaginierte am Piano Max McMahon, der diese Mammutaufgabe musikalisch stets an der Seite der Sänger:innen zu lösen wusste.

Vor allem, was die zeitgeschichtliche Aussage anging, fiel eine beachtliche Stringenz auf: Ehe sich der Conférencier ein letztes Mal zum Publikum wendet und der Spot verlischt, hat er sein Glitzerjackett gegen Sträflingskleidung mit gelbem Judenstern getauscht. Die Nazis waren vorher schon in Formation marschiert; wie sie sich dabei aus der Revueballetttruppe kristallisieren, ist erschreckend. In dieser Aufführung war die Kunst ein System, in dem man sich Zeit nehmen sollte für den zweiten Blick.

Foto: Olaf Potent

Soufjan Ibrahim war ein Conférencier, der seine Sache charismatisch und gut machte. Er blieb der Kommentator,  manchmal vielleicht ein wenig grell, jedoch, wie man am Ende sah, nicht immer nur unbeteiligt. Annette Krossa gab ihre Sally Bowles ein wenig hysterisch, ihrem Cliff gegenüber ziemlich aufdringlich – aber vielleicht waren die Mädels in den glitzernden 20er und Anfang der 30er Jahre so? Zumal sie dazu stand, blind für Politik zu sein. Am eindrucksvollsten ihr Song „Maybe this time“, der erzählt, wie groß die Hoffnung doch ist, ein ganz normales, glückliches Leben führen zu wollen.

Foto: Olaf Potent

Für die anrührenden Szenen  zeichneten Claudia Reimer und Helge van Hove verantwortlich. Das alternde Paar, das sich fast gefunden hätte – „Aus dem Erdgeschoss wird ein Märchenschloss durch ein winziges Wort: Heirat“ – wäre er nicht Jude gewesen. An seinem Gemüseladen hängt schon das entsprechende Schild. Mit triefenden, blutroten Buchstaben geschrieben.

Das Bühnenbild stellte sich als eine pragmatische Angelegenheit heraus mit seinem flexiblen Möbeln und Stellwänden, die jeweiligen Orte stilisierend. Die Spieler rollen die Elemente wie nebenbei herein und heraus, oft spielt die Musik noch ein Da capo

Der Abend schleppte sich zunächst ein wenig schwerfällig an den Dialogen, die recht dürftig sind. Aber man wartete sowieso auf die Musik, die manchmal an den lauten Krawall á la Brecht/Weill erinnert, an anderer Stelle amerikanische Hollywood-Süße hat.

Es gruselt einen, wenn der Song „Tomorrow belongs to me“ ins Politische kippt, indem der Nazi Ernst Ludwig (Fabian Baecker) einen strengen Seitenblick auf Herrn Schultz wirft. Man weiß, wie die Geschichte sich entwickeln wird.

Die Inszenierung in Eimke wurde im Verlauf des Abends stärker, emotionaler auch. Der Handlungsfortgang macht betroffen, weil er die Balance zwischen historischen Fakten, die man kennt, und der Suche nach persönlichem Glück, das so oft an der Gesellschaft scheitert, hält.

Foto: Olaf Potent

Am Ende stehen die Hauptdarsteller auf der Bühne. Einzeln durch einen Spot beleuchtet sagen sie noch einmal einen für sie charakteristischen Satz. Das mag einen zunächst irritieren, symbolisiert aber das Einspinnen in ihre Situation, Illusion oder Vision, von der sie im Text reden. Und ist vielleicht auch Ausdruck der Einsamkeit, in der sich alle befinden; trotz noch so bunter Selbstdarstellung. Und wenn Sally den berühmten Titelsong singt, ganz ohne Glitzerkostüm, sondern mit der Schnapsflasche in der Hand und in Alltagskleidung – weil die Situation nämlich eher zum Heulen ist – dann greift das schon ans Herz.

Das „Kulissen“-Ensemble gab mit „Cabaret“ eine vor allem stimmlich beeindruckende Vorstellung, denn wer hätte nicht den Filmsound im Ohr? Der Abend hatte verstörende Momente, wie ihm zelebrierter Theaterdonner eigen war. Es gelang nicht nur Tempo, sondern – bis auf manche Dialoge – auch Rhythmus. Die Inszenierung war bildgebendes Verfahren, je nach subjektiver Sichtweise, obwohl hier eigene Einfälle (kennt man den Film) rar blieben.  „Und wenn die Welt in Stücke fällt – kommt doch ins Cabaret!“ singt Sally am Schluss, eher verzweifelt als überzeugt von der Wirkung dieser Art Ablenkung. Scheint es nicht schon fast wieder so weit zu sein? Das ist die Frage der Aufführung an das Heute.

„Cabaret“ steht noch elf Mal auf der Bühne in Eimke. Termine im Oktober, November, Dezember, siehe www.kulisseeimke.de Tickethotline: 0761/88849999.

Barbara Kaiser –  23. September 2024

 

Besetzung 22.09.2024:

  • Conférencier – Soufjan Ibrahim
  • Sally Bowles – Annette Krossa
  • Cliff Bradshaw – Valentino Karl
  • Herr Schultz – Helge van Hove
  • Frl. Schneider – Claudia Reimer
  • Frl. Kost – Patrizia Margagliotta
  • Ernst Ludwig – Fabian Baecker

Piano – Max McMahon

Regie: Annette Krossa

Choreografie: Lena Inter

Musikalische Leitung: Tjaard Kirsch

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