Noten gibt es nirgends

Beata Krampikowski „Gehölz“ Foto: Barbara Kaiser
Zur BBK-Ausstellung anlässlich der 15. Internationalen Sommerakademie
Man müsste es ja einmal machen: Den Künstler:innen des Bundes Bildender Künstler (BBK) ein Musikstück vorgeben und ihnen die Aufgabe stellen, ein Bild dazu zu erschaffen. Modest Mussorgski hat es umgekehrt vollbracht: Er komponierte die berühmten „Bilder einer Ausstellung“ zu Gemälden und Zeichnungen seines verstorbenen Freundes Viktor Hartmann. Im Jahr 1874 waren die in der Akademie der Künste in St. Petersburg zu sehen gewesen und hatten Mussorgski inspiriert. Es ist fast 20 Jahre her, da drehte die Künstlerin Rena Meyer das Ganze wieder um und malte zu Mussorgskis Musik, stellte das Produkt im Ratssaal vor und die taiwanesische Pianistin Hui-Ping Lan spielte die Noten dazu. Es war eine sehr schöne Veranstaltung!
Was also würden die 14 an der neuen Ausstellung teilnehmenden Künstlerinnen und Künstler zu Mussorgski gemacht haben? Oder beispielsweise zu Beethovens „Mondscheinsonate“, der Sonate Nr. 14, op. 27, cis-moll? Eine Vollmondnacht mit glitzerndem See oder die Mondlandung? Oder gar das sowjetische Mondmobil „Lunachod“? Beethoven selbst nannte sein Werk ja gar nicht nach dem Mond, sondern nur Sonata quasi una Fantasia. – Griffen die Maler:innen bei Wagners Brachialgewalt mehr in die Farbtöpfe und tupften sie bei Vivaldi nur zart?
Leider macht man das ja nie; den Künstlern Vorschriften. Und deshalb ist bei der BBK-Ausstellung in Oldenstadt, die anlässlich der 15. Internationalen Sommerakademie geplant wurde, herausgekommen, was nun gezeigt wird. Eigentlich verspricht der Titel „Farbige Töne“. Aber so einfach ist es nicht. Also, mit Beethoven: „una Fantasia“! Man muss mehr Fantasie wagen beim Besuch.
Zu konstatieren bleibt, dass sich alle selbst treu geblieben sind. Georg Lipinsky nennt seine Collagen „An-Klänge“ und wildert gleich mal bei Gustav Klimt. Kerstin Sørensen malte in ihrer unnachahmlich-leichten Art und Weise ein weites „Kornfeld“, da fällt es nicht schwer, eine Melodie rauschen zu hören. Bei Beata Krampikowskis Diptychon „Gehölz“ fällt mir trotz des ein wenig klobigen Namens die Dr.-Schiwago-Melodie ein! Und Renate Schmidt brachte „Farbige Töne… aus meinem Garten“ mit; Fotoschnipsel verschiedener Florakinder, zwischen Forsythie, Margerite und Pusteblume. Bei Jutta Weingartens „Orientalisches Schaufenster“ erklingen im Kopf die Zurna, diese spezielle Flöte Arabiens, oder die typische Handtrommel mit den lustigen Schellen. Obwohl das Bild mit Tajine und Pantoffeln – ja, wo entstand?

Georg Lipinski, An-Klänge

Renate Schmidt, Farbige Töne…aus meinem Garten

Claudia Krieghoff-Fraatz, Partitur der Farben.
Kerstin Voß nennt ihre zwei Bilder „Wiesenluft“. Auch wenn sie recht dunkel sind – „Wiesenluft“ in Moll – hört man vielleicht das eine oder andere (sanfte) Instrument, das Luft zum Töne erzeugen benötigt. Oder denkt man eine Äolsharfe? Jochen Quast steuert zur Ausstellung drei Fotos bei: „Woyzeck – Backstage“ heißen die und zeigen die Protagonisten aus Büchners Drama, wie sie hinter der Bühne auf ihre Auftritte warten. Mit „farbigen Tönen“ hat das wenig zu tun, aber es gibt ja wenigstens die gleichnamige Oper („Wozzeck“) von Alban Berg und sogar noch ein Ballett.
Mein Favorit unter allen zweieinhalb Dutzend Arbeiten sind die drei Blätter von Claudia Krieghoff-Fraatz. Sie heißen „Partitur der Farben“, „Farbakkord in Moll“ und „Farbakkord in Dur“. Es sind zauberhaft bunte Aquarelle, angesichts derer eine musikalische Welt vorstellbar wird. Man hätte gerne gewusst, welche Musik die Künstlerin im Ohr hatte!
Und so sind einige Werke dieser insgesamt jedoch sehenswerten Ausstellung Seelenlandschaften und/oder Sinnbilder. Manche führen durchaus ein magisches Eigenleben, andere bleiben unzugänglich. Zumindest für das Thema. Denn wie sagte es Modest Mussorgski: „Die Kunst ist ein Mittel zur Aussprache mit den Menschen, nicht aber ihr Zweck an sich.“ Manchmal scheint aber bei manchen Werken ziemlich viel `nur Zweck` zu sein.
Vernissage zur Schau ist am Samstag, 20. Juli 2024, um 17 Uhr, im BBK-Ausstellungsraum Oldenstadt. Geöffnet ist stets zu den Konzertzeiten der Sommerakademie bis Sonntag, 28. Juli 2024. Daneben werden im Langhaus wieder die Fotoimpressionen der 2023er Sommerakademie von Hans Lepel gezeigt.
Barbara Kaiser – 18. Juli 2024