Der Tod ist schusselig
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„Rabenfutter“ – Zur Openair-Krimipremiere in Bostelwiebeck
Sollte es einen trösten, dass auch bei den endgültigen Mächten nicht alles klappt und Fehler passieren? Die Abgesandte des Todes in Thomas Matschoß` neuestem Stück jedenfalls, Endooh (Kristina Brons), hat eigentlich jemanden ganz anderen auf ihrer Abholliste, nicht die nette Amka (Anna Sinkemat). So stolpert die Dame in Rot in eine Literaturpreisverleihung, wo die jungen Autor:innen Mira Leibold als Romy van der Wegen, Andrii Vanieiev als Pascal Renard und Brian Neves als Benjamin Far um die Gunst des Jury-Vorsitzenden B. C. Brett (Thomas Matschoß) mit ihren Notizen zum Thema „Was von mir darf nicht verschwinden?“ buhlen. Man denkt sofort: Bachmann-Wettbewerb und ist amüsiert über das Haifischbecken Literaturbetrieb. Bald aber amalgiert diese Veranstaltung zu einer Erörterung über das Leben, die Liebe, den Tod. Es geht um Plagiateure und sensible Künstlerseelen – dazwischen gibt es einen Toast auf die Wahrheit: „Die Wahrheit macht einsam, aber befreit.“
„Rabenfutter“ heißt die diesjährige Premiere des Jahrmarkttheaters Bostelwiebeck, es will ein Krimi sein, ist aber mehr. Natürlich. Wie immer bei dieser munteren Theatertruppe, die auch dieses Mal wieder ihre Spielfreude und Qualität in Szene setzt. – Ganz langsam schreitet der Rabe, der Todesbote, aufs Areal. Die schwarze Gestalt ist ca. drei Meter hoch und wird von den Gehilfen begleitet. Die kommen, bereits ein wenig erschöpft von ihrem Tun auf Autobahnen, Altenheimen und den vielen Kriegen. Aus diesem Ensemble jedoch schält sich die putzmuntere Endooh, ganz in Rot und ziemlich aufgekratzt – darf sie doch wiedermal einen abholen und begleiten in die andere Welt. Das Problem: Sie hat zwischen den Namensseiten mit den Kandidaten eine Mücke erschlagen und deren Blutfleck sitzt jetzt auf der Identität des zu holenden Menschleins. Damit nimmt die Verwicklung ihren Lauf. Davor jedoch wird ein musikalisches Hoch auf die Literatur gesungen, schließlich verleiht der Literaturnobelpreisträger Brett den Nachwuchspreis: „Stets schöner als das Leben – Literatur./ Lässt uns vor Glück erbeben – Literatur./ Wörter, die die Welt gestalten,/ Zeilen, die sich still entfalten,/ Dichtung, Wortkunst, Poesie/ Sie enden nie./ Sie ist viel mehr und heißt doch nur: Literatur! Sie flüstert und raunt, sie schreit und lacht/ Von Helden und Stolz, von Zweifel und Macht./ Halb zieht sie dich, halb sinkst du hin, sie packt dich und betört;/ Erschafft mit ihrer Fantasie, was sie sogleich zerstört./ In ihrem Reich versunken – Literatur./ Verführt sie, macht betrunken – Literatur./ Wörter, die in uns verweilen/ Sätze, die die Zeit durcheilen./ Sie lügt, betrügt und hat doch recht – Literatur./ Ist niemals wahr, doch immer echt – Literatur!“ Ist das nicht wunderbar? Überhaupt sind die musikalischen Beiträge (Musik: Markus Voigt, in diesem Falle auch Text) immer ein Höhepunkt, ein retardierendes Element zum Nachdenken, sich gruseln oder resümieren.
Ist Theater heute immer noch, im Sinne Shakespeares, Spiegel der Zeit? Aber diese Zeit ist ja nun mal aus den Fugen des bürgerlichen Maßes. Vielleicht reflektiert Matschoß in diesem Jahr mit seinem neuen Stück deshalb die großen Dinge wie Leben und Tod. Die Regie hat er Konstantin Buchholz und Lisa Pauline Wagner überlassen. Für die Kostüme zeichnet diesmal nicht Anja Imig (nur Bühnenbild), sondern Estrella Jurado verantwortlich. Der „Literaturwettbewerb“ ist dabei nur Introduktion. Der Abend lässt sich Zeit mit dem Beginnen, als wüsste er nicht recht, wie die Kurve kriegen zu den wichtigen Anliegen. Wahrscheinlich empfinden es auch die Zuschauer so, sie wissen nicht, wohin es gehen soll. Was machen Matschoß und sein Team mit dem Unfugladen Theater? Eine bunte Bebilderung nur oder wird wieder auf die Assoziationskraft eingebauter Schlüssel gesetzt? Bleibt der Abend gefällig, am Publikumsgeschmack orientiert? Oder wirft er Blicke hinter die Fassade, in Abgründe?
Ich denke, er tut beides mit mal mehr und mal weniger Erfolg. Der Inszenierung hat ohne Zweifel Tempo, Spannung und Kraft. Manchmal ist sie aber weniger anspielungsreich, sondern nur anzüglich. Manchmal sind es nur flackernde Bildschnipsel und der Holzhammer steht auch nicht weit weg. Keineswegs jedoch ist der Theaterbesuch eine Zwei-Stunden-Unterforderung. Am stärksten ist die Abschlussstunde, für die sich alle in eine Zwischenwelt begeben. Das scheint derzeit modern zu sein, beschrieb es schon Jan Kepler in „Playground“ vor einem paar Jahren so und in „Mitternachtsbibliothek“ von Matt Haigh spielt der Zustand zwischen Leben und Tod die größte Rolle. Welche Bilanz ist also zu ziehen? Stand man an den Lebenskreuzungen und wusste öfter nicht, wo es langgehen soll. Oder hatte man gar grundsätzliche Zweifel: „Ist das meine Lüge oder ist das die Welt?“
Es ist zu bezweifeln, dass sich der Tod, wenn man auf seiner Liste steht, bequatschen lässt mit den Verlockungen des Lebens. So wie es der Nobelpreisträger-Autor am Ende schafft. Er würde immer bleiben, frohlockt der! Er hätte sich mal bei Goethe schlaumachen sollen, was es bedeutet, wenn alle anderen, die man Gefährten nannte, gegangen sind. Es wird dann sehr einsam um einen. Also vertrauen wir lieber auf den Lauf der Welt, der ist zwar ungerecht, aber oft nicht zu ändern. Und dass es der Stücke-Autor B. C. Brett schafft, davonzukommen, ist vielleicht Matschoß` stärke Botschaft: Die Literatur wird nie sterben. Niemals!
Am Freitag, 19. Juli 2024 ist Premiere. Die ist aber ausverkauft genauso wie die Aufführungen am 20. und 21. Juli. Weiter geht es am Freitag bis Sonntag, 26./28. Juli, und im August, 02. bis 04. und 09. bis 11. Da die Anfangszeiten variieren, bitte die Homepage beachten: www.jahrmarkttheater.de
Barbara Kaiser – 18. Juli 20024