Musikalisches Neuland
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Matt Glandorf faszinierte beim zweiten St.-Marien-Sommerkonzert an der Orgel
„Ich bin ein Bürger der Welt“, antwortet Matt Glandorf lachend auf die Frage, ob er sich als Amerikaner oder Deutscher fühle. Und dann ein bisschen ernster: „Ich bin Ausländer.“ In allererster Linie aber ist Matt Glandorf Musiker – und damit dürfte er überall auf der Welt zu Hause sein, nachdem er in Norddeutschland aufgewachsen ist, in den USA studiert und gearbeitet, unter anderem das Bach-Festival in Philadelphia geleitet hatte. Ab Herbst wird er Kirchenmusiker in Bremen sein.
Am Wochenende war der Deutsch-Amerikaner zu Gast im zweiten St.-Marien-Sommerkonzert und spielte Orgelmusik aus Großbritannien und Amerika. Mit einem Blick auf den Programmzettel blieb festzustellen, dass eigentlich nur der Name Lloyd Webber einen Klang hatte. Allerdings William, nicht Andrew. Aber es blieb die Familie. Ansonsten machte der Organist seine rund 70 Zuhörer mit Hubert H. Parry (1848 bis 1918), Nico Muhly (*1981), Calvin Hampton (1938 bis 1984) und eben William Lloyd Webber (1914 bis 1982) bekannt.
Es erklang ein fesselndes Panorama, ein Programm der üppigen sinfonischen Geste wie orchestraler Feinheit. Matt Glandorf erwies sich dabei als Meister fragiler Energie fern aller Extravaganzen. Bei Hubert Parrys Fantasia and Fugue in G dachte man an Bach, hörte jedoch alle Romantiker mit. Die Fantasie wuchtig, die Fuge zierlich-flink, plastisch und trennscharf. Von William Lloyd Webber stellte der Gast „Five Portraits for Home Organ“ vor. Man stelle sich Personen und Katzen (!) vor, mal langsam-elegisch, mal melodiös-bedächtig. Das Fräulein, das der Komponist offenbar verehrte, bekommt einen schwungvollen Dreiertakt, schwelgend mit kleinem Jauchzer. Und die zwei Samtpfoten der Nr. 4 und 5 könnten unterschiedlicher nicht sein: Die eine behäbig sich streckend und gähnend, die andere voller Schabernack. Was Nico Muhly zur Priestereinführung seines Freundes komponierte, taugte nicht für eine weihevolle Prozession. Macht er sich gar ein wenig lustig über diesen Stand, vielleicht noch im Zölibat?
Unendlich zärtlich und kontemplativ ist Calvin Hamptons Präludium (Voluntary) zu „Engelberg“. In den robusteren Passagen aber aufregend dissonant. Der Tonsetzer stellte die Improvisation einem donnernden Choral voran.
Am Ende des Programms improvisierte auch Matt Glandorf. Erik Matz hatte ihm ein britisches und ein amerikanisches Stückchen Musik als Material dafür auf den Weg gegeben: Eine Passage aus Edward Elgars „Pomp and Circumstance“ und „Moon River“, das Lied, das auf ewig mit Audrey Hepburn verbunden bleiben wird.
Glandorf spielte beide Melodien an, danach arbeite er, wühlte, wuchtete, schwelgte. Wechselte Rhythmus, Tonart und Motiv, dass es Freude war. Es war eine vereinnahmende Improvisation, in guter Dosierung sentimental, schwungvoll zupackend und pfiffig gespielt. Zwischen Expressivität und Verlorenheit. Überhaupt war der 51-jährige Organist das ganze Konzert über ein Gewährsmann in Sachen Genauigkeit und Respekt vor den Noten. Nirgendwo herrschte selbstgefällige Brillanz und trotzdem leuchtete alles.
Als Zugabe improvisierte der Mann auf der Empore ein Vorspiel zu Mattias Claudius` Lied „Der Mond ist aufgegangen“, vorher hatte er die Zuhörer gebeten, die erste Strophe doch mitzusingen. Das ergab einen berührenden Schluss dieser 70 Konzertminuten, denn auf die Uelzener ist in Sachen Gesang absolut Verlass.
Am Samstag, 20. Juli 2024, um 16.45 Uhr, sitzt Moritz Schott aus Hamburg an der Königin der Instrumente in St. Marien. Er wird Klangwelten aus vier Jahrhunderten vor den Zuhörern ausbreiten.
Barbara Kaiser – 14. Juli 2024