In Erwartung eines Echos
teilen
Zur Ausstellung mit ehemaligen Student:innen um Professor Christian Hahn von der HAW Hamburg im Kunstverein – 22. September bis 20. Oktober 2024.
Was für eine gelungene Ausstellung! Welch künstlerische und handwerkliche Qualität! So viel Farbe – so viel Dystopie; welche Menge an Ideen zu einem Thema. Und dabei kein bloßes buntes Esperanto. Die Rede geht hier von der aktuellen Ausstellung im Kunstverein, für die vier Student:innen und ihr Professor der Hochschule für Angewandte Wissenschaften Hamburg (HAW) zu Gast sind. Maria Bayer, Katrine Buksted, Brian Harnisch und Rhea Kropp arbeiteten gemeinsam mit Professor Christian Hahn zum 2024er Thema des Kunstvereins „Natur und Mensch“, nannten ihre Ausstellung jedoch „In der Echokammer“. Was sich auszuschließen scheint, brachte Arbeiten hervor, vor denen man staunen kann, in die man sich vertiefen muss, mit denen sich auseinander zusetzen lohnt.
Kunst sollte das Leben der Menschen wenn schon nicht verändern, so doch bereichern. Die Art, die Welt anzusehen. Sie ist aber zugleich Zumutung, weil Kunst eine eigene Sprache schöpft, die man lesen können muss um zu verstehen. Aber man braucht sie. Nicht nur, um geistig lebendig zu bleiben, auch für das eigene Selbstverständnis ist die fremde Sicht nötig.
Ist sie also für die vier Hamburger Student:innen und deren Professor ein Refugium der Sicherheit? Die Ausgestaltung von Verzweiflung und Gefangensein? Oder das ganz persönliche, ernsthafte, dringliche Eingehen auf den Weltzustand in allen nahen und globalen Facetten? Es wird sich herausstellen, dass die gezeigten Arbeiten von allem etwas besitzen. Dass sie aus der „Echokammer“, die ja immer ein geschlossener Raum ist, in dem man nur Eigenes gespiegelt bekommt, herausfinden.
Wissenschaftler weisen ja darauf hin, dass solche „Echokammern“ Auswirkungen auf Haltungen und Ansichten der Bürger haben (können), was es für die Politik zu bedenken gilt. Man kann sich nicht nur in Umgebungen bewegen, in denen eigene Überzeugungen bekräftigt, wiederholt und bestärkt werden – der Mensch braucht die Gegenansicht. Auch in Form von Kunst. Weil wir an die Läuterung durch Wissen glauben wollen.
Zum Beispiel: Maria Bayer. Die junge Frau wurde 1992 in Odessa geboren. Im Jahr 2005 kamen ihre Eltern als „Spätaussiedler“ in einer Kleinstadt zwischen Göttingen und Northeim an. Plötzlich, mitten in der ohnehin schwierigen Pubertät, verlor das Mädchen sein soziales Umfeld. Jetzt stand es, ohne fundierte Deutschkenntnisse, neuen Herausforderungen gegenüber. Hatte Maria Bayer bereits zu Hause eine Kunstschule besucht, weil ein kreatives Arbeiten immer Thema war, musste sie jetzt Deutsch lernen und Unterricht bewältigen. Nach dem erweiterten Realschulabschluss schloss sie eine Ausbildung als Grafikerin ab und arbeitete in einer Designagentur. Dort ist man allerdings zuerst Dienstleister. Deshalb entschloss sie sich zum Studium an der HAW, das sie in diesem Jahr abschließen wird.
Ihre Bilder sind farbensatte Entdeckungen. In „Auf und ab“, so sagt sie, sucht sie vielleicht eine Heimat? Denn Berge kennt sie nicht, sie kam vom Meer. Vom Schwarzen Meer. „Mir geht es um Form, Farbe und Komposition des Bildes“, und sie möchte dem Betrachter unbedingt Freiräume für die eigene Imagination lassen.
Die „Echokammer“ des Ausstellungstitels sieht sie nicht eingrenzend. Natürlich hätte jeder seine eigenen Blasen, aber „es geht um Austausch und um Einfluss“, den auf andere und – zurückwirkend, reflektierend – auf sich selbst. Dass auf ihrem Bild „Auf und Ab“ ein Berg vorstellbar ist hat den schönen Nebeneffekt, dass Berg und Echo kompatibel sind. Und wenn man den Blick hebt, muss das Echo nicht nur das Eigene sein.
Katrine Buksted wurde 1998 in Dänemark geboren. Der Kulturschock war wohl erheblich, als sie mit ihrer Mutter im Jahr 2007 nach Bayern (!) zum Stiefvater zog. Das Paar hatte sich in Dänemark kennengelernt. Auch Katrine hatte wie Maria kaum Deutschkenntnisse, aber es ist ja unglaublich, was Kinder zu leisten vermögen! Im Jahr 2017 bestand sie das Fachabitur und studierte ab 2019 in Hamburg.
Katrine Buksted gibt zu, dass das Hochschulatelier natürlich eine „Echokammer“ ist. „Aber vielleicht geben wir doch Raum für Diskussionen?“ Ihre Überlegungen zu Mensch – Natur sind von einer tiefen Einsicht geprägt, dass sie (noch) privilegiert lebt. „Für mich war es ein Prozess zu akzeptieren, dass diese privilegierten Zeiten einmal vorbei sein können (werden?)“, aber: Sie glaubt daran, dass Menschen sich in Notständen ganz anders finden. Man sehe es bei den Naturkatastrophen der letzten Jahre, dass man in den Flutgebieten plötzlich nach dem Nachbarn schaut. „Man kommt mit Vielem klar“, ist ihre Überzeugung. Wird uns dieser Satz helfen in der Zukunft? Die Vergangenheit scheint ihn zu stützen, aber gilt er auch in den Imponderabilien des globalen (Klima)Wandels?
Das Bild „Ein Verständnis“ von Katrine Buksted zeigt zwei Menschen, die zusammengefunden haben; aber sitzen sie nicht vor einem Hintergrund, der Apokalypse suggeriert? Kommt dieses „ein Verständnis“ – Einverständnis – zu spät? „Ich finde es immer schön, wenn die Menschen eigene Assoziationen zu meinen Bildern haben, es müssen nicht die meinen sein“, sagt die Künstlerin.
Rhea Kropp ist die dritte im Bunde. Geboren 1998 in Varel, absolvierte sie das Fachabitur „Gestaltung“ (2017) und studierte wie die anderen Aussteller:innen von 2019 bis 2024 an der HAW Hamburg. Sie wählte das Fach Illustration, weil sie vor der Freien Kunst noch Angst hatte, Angst „ich würde mich verlieren“. Nach ihrem Abschluss, an den sie noch gar nicht richtig gewöhnt ist, wie sie sagt, will sie sich nun aber doch der Freien Kunst zuwenden und weiterstudieren. Rhea ist die Einzige, die bei „Echokammer“ an eine Natursteinhöhle denkt. In der es ja aber nur ein Echo gibt, wenn der Mensch drin ist. Sie fühle sich nahe dran an der Natur, auch wenn man in der heutigen Gesellschaft der Meinung sei, man habe sich entfremdet. Sie gibt zu, dass das Gleichgewicht nicht mehr stimme, dass das Verhältnis neu ausbalanciert werden muss. „Aber wir sind doch untrennbar verbunden, kommen doch aus der Natur“, bekennt sie. Vielleicht gehörten hier die Worte Demut, Achtung und Sorgsamkeit dazu, aber das wäre nicht-kapitalistische Illusion. Es gilt eben viel zu lernen.
In ihrem Bild „Asche“ kommt Rhea Kropp gesellschaftlichen Tatsachen nahe. Da steht eine junge Frau mit einer Forke vor einem abgebrannten Wald, der nur noch ein bisschen Grün hat. Ihr Blick allerdings ist entschlossen, trotzig auch. Sie wird kämpfen. Gegen die Brandrodung, gegen Umweltfrevel, für die Natur. Das Rot ihrer Haare bildet mit der Komplementärfarbe Grün der Bäume eine beeindruckende Allianz! In ihrer künstlerischen Gestaltung liebt Rhea Kropp das Experimentieren, man beachte auf ihren Bildern auch textile Flächen, die die Werke „mehr in die Welt hinein“ bringen sollen.
Brian Harnisch, neben Professor Hahn die männliche Komponente der Gruppe, wurde 1992 in Hannover geboren. Nach dem Abitur 2011 besuchte er die Fachschule für Künstlerische Gestaltung Berlin, ehe er von 2015 bis 2022 an der HAW Hamburg studierte. Inzwischen ist er freiberuflich in Leipzig tätig, studiert aber in Hamburg weiter für den Masterabschluss. „Ein künstlerischer Werdegang war mir schon immer klar“, sagt er, „ich wollte kreativ tätig sein.“ Über sein Interesse für Grafik kam er zur Malerei. Brian Harnisch, dessen Eltern in den 1980er Jahren aus Vietnam kamen, ist sich sicher, dass Kunst immer ein Dialog ist. Weshalb die „Echokammer“ Hochschule keine so große Rolle spielt. „Man möchte ja nicht immer in seinem eigenen Brei schwimmen!“ Die Frage Natur – Mensch mündet bei ihm immer in der Untersuchung: Wie verhält sich der Mensch. Er könne nur einen Deutungsraum öffnen, wobei bei ihm und in seinen Bildern das Dystopische und das Thema der Vergänglichkeit eine große Rolle spielen. „Ich werfe wohl mehr Fragen auf als zu beantworten sind“, bedauert er. Aber ist nicht genau das die Aufgabe von Kunst? „Die Vergänglichkeit zieht sich durch meine Bilder“, sagt Brian Harnisch, „sie haben auch eine Melancholie, zwischen Schrecklichem und Schönheit.“ Die Eltern des jungen Künstlers haben den Vietnamkrieg (bis 1975) erlebt (Jahrgänge 1953 und 1963) – prägt das auch die Folgegeneration? Mit Sicherheit. Und trotzdem hat er eine Affinität für Caspar David Friedrich, obgleich er es besser findet, wenn sich der Betrachtende Fragen stellt und mit dem Gesehenen auseinander setzt. Sein Bild „House of Hounds“ ist ein wüster Knäuel aus diesen Hunden. Wobei man sich nicht sicher sein kann, ob sie noch alle am Leben sind. Über seinem Bild „Gift“ (Geschenk) scheint eine kalte, tödliche (?), rote Sonne, die die Komposition aus Disteln erschreckend dominiert.
Was sagt nun der Professor zu seinen Studenten? „Alle haben eine mehr oder weniger dystopische Grundstimmung, aber manche finden eine positive Antwort.“ Wie zum Beispiel auf Katrine Buksteds „Abends um halb neun“ der Mensch an der Bushaltestelle die giftig-verstrahlten Farben in seinem Rücken lässt und sich einem Buch zuwendet – das wäre doch eine hoffnungsvolle Alternative. Hahn sieht in den Bildern trotz der Anwesenheit von auch Verwesung vor allem Freundlichkeit und die Überzeugung, dass die Menschlichkeit bliebe.
Sein eigenes mitgebrachtes Hauptwerk lehnt sich an den französischen Maler Henri Rousseau (1844 bis 1910) und dessen Arbeit „Der Krieg“ (La Guerre) an, diese Allegorie aus dem Jahr 1894. Der wiederum muss an Dürers „Apokalyptische Reiter“ oder Goyas „Schrecken des Krieges“ gedacht haben, denn über hingemetzelte Menschen reitet das Grauen, das seltsamerweise das Gesicht eines Kindes hat. Hahn greift diese Komposition auf: Ein schwarzes Etwas scheint über ein Schlachtfeld zu jagen… Das Bild entstand nach dem Februar 2022. Ein großes Thema für ihn selbst sei „die Entfremdung vom Natürlichen“, wobei er sich mit Rhea Kropp träfe.
Es ist eine großartige Ausstellung, die Schau der Studierendengruppe um Professor Christian Hahn. Es sind Bilder, die eine Mischung sind aus kreativer Emotion und analytischer Ratio. Auf manchen befreite sich die Farbe vom Zwang der Gegenständlichkeit, lässt aber trotzdem konkrete Erkenntnis zu. An anderer Stelle spricht die Kraft der Kontur. Man erkennt die Lust am Versuch, der jedoch nicht bloßes Tändeln ist. Es wird erzählt von den Verlusten in dieser Welt. Man braucht nicht den Wort-Umweg; die Bandbreite verschiedener Stimmungslagen auszudrücken.
Nur bei mittleren Temperaturen kocht nichts über – Kunst lebt nicht zuletzt davon, dass sie aufregt und polarisiert, mit welcher Zeiterfahrung sie auch immer zusammenhängen möge. Aber wie frei ist der Künstler, der, um des Brotes Willen, zum Handwerker wird oder zur Hure am Zeitgeist? Die vier jungen Maler:innen in der Kunstvereinsgalerie nehmen sich an keiner Stelle zurück. Sie sind hervorragende Handwerker:innen, keinesfalls aber gehen sie mit dem Zeitgeist. Haben aber ihren Nerv am Puls der Zeit. Wem das als Widerspruch erscheint, der möge darüber nachdenken. Die Bilder verdienen allesamt das Prädikat bemerkenswert. Aufregend, anregend sind sie zudem; verstörend manchmal und auch schön. Diese Schönheit aber ist nicht billig zu haben, nur zu entdecken.
Die Ausstellung ist zu sehen bis 20. Oktober 2024, samstags von 15 bis 18 Uhr, sonntags von 11 bis 13, 15 bis 18 Uhr. Und telefonischer Anfrage bei Renate Schmidt: 0581/76675.
Barbara Kaiser – 22. September 2024