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Gewimmel in Weimar

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Weimar 2025 das „Faust“-Jahr

Die Klassikerstadt rief für 2025 das „Faust“-Jahr aus

Vielleicht war es nicht sehr weitblickend von mir, ausgerechnet das erste Wochenende zu wählen für diese Exkursion nach Thüringen, nachdem die Klassik-Stiftung am 30. April das Jahr 2025 zum „Faust“-Jahr ausgerufen hatte. Die Stadt glich einem Wimmelbuch. Aber wie das eben so ist, wenn man an diesem besonderen Ort, in diesem besonderen Theater alle Inszenierungen der Tragödie in den letzten 50 Jahren sah. Und es für die Verkündung des Faust-Jubeljahres einen Anlass gibt:  Goethes Erstankunft in Weimar vor 250 Jahren. Der kam zwar erst im November an, aber warum nicht ein ganzes Jahr draus machen. Mit dem Auftragswerk Neuinszenierung der Tragödie erster Teil im Deutschen Nationaltheater, vier Ausstellungen und Trubel allerorten.

Ausstellung: Eine Phiole aus der Sammlung Goethes.An Goethezitaten entlang.

Ausstellung: An Goethezitaten entlang.

Ich gebe es zu, alle vier Ausstellungen habe ich nicht geschafft – es soll ja auch ein bisschen Vergnügen sein. Aber im Theater war ich und sah die – ja, die wievielte? – „Faust“-Inszenierung. Aber dazu später mehr.

Die Exposition zu Goethes Hauptwerk im Schiller-Museum ist die umfangreichste und außerordentlich sehenswert. Auch wenn eine Besucherin, als sie aus Schillers Wohnhaus an der gleichnamigen Straße in den Anbau des Museums wechselte sich verpflichtet fühlte anzumerken: „Und warum ist der „Faust“ jetzt hier, wir sind doch bei Schiller?“ Ja, sie hat ja Recht, aber das Goethehaus bietet nicht den Raum für eine solch üppige Sonderpräsentation. Und Schiller hat den Freund oft genug getrieben, wieder ans Manuskript zu gehen. Zum 275. Goethegeburtstag vor einem Jahr wich man auch zu Schiller aus und wusste eine Menge zu Goethes Wissenschaftsverständnis zu erzählen. Beispielsweise über den erbitterten Streit der Neptunisten gegen die Plutonisten, dem Jahrhundertkrach der Geologen (ca. 1790 bis 1830). Und Goethe natürlich mittendrin.

Nun also der „Faust“. Ich will nicht zu eitel erscheinen und sagen, dass ich als Germanistin und Liebhaberin der Weimarer Klassik inzwischen ein Leben lang, seit meine Deutschlehrerin den Funken entzündete, wesentlich Neues erfuhr. Warum auch, alles Kluge zum Thema ist wohl schon gedacht worden. Die Herangehensweise der Kuratoren ans Thema jedoch ist aufregend, inspirierend und durchaus neu. Wer gar keine Ahnung hat, weil die Schulzeit eben zu lange her ist oder er sich noch nie dafür interessierte, der bekommt den Plot der Story über die Kopfhörer erzählt, kurzweilig, ohne Oberlehrerton. Ein Comic illustriert die Tragödie an einer ganzen Wand. Dann geht es thematisch voran, entweder multimedial oder ganz haptisch; was nicht heißt, dass der Besucher die Phiole aus Goethes Sammlung etwa anfassen dürfte.

Am aufschlussreichsten jedoch sind die Erzählungen verschiedener Wissenschaftler. Germanisten, Fachverwandte und Schauspieler:innen, die die Zuhörer an ihren Gedanken teilhaben lassen. Über die Figuren des Stücks, des Faust, des Mephisto, des Gretchen. Wirklich neu und erfrischend wie auch erschreckend jedoch sind die Abhandlungen über das „Kapitalozän“. Hier wird uns offenbar, dass es Karl Marx war, der in einer Aufzeichnung von 1844 über das Geld den Mephisto-Monolog zitierte: »Wenn ich sechs Hengste zahlen kann / Sind ihre Kräfte nicht die mein? / Ich renne zu und bin ein echter Mann / Als hätt’ ich vierundzwanzig Bein.“ Heute würde man sagen: Es geht immer nur ums Geld. Im Kapitalismus sowieso. Zu kaufen ist alles.

Doppelter Teufel – teuflisch gut.

Doppelter Teufel – teuflisch gut.

Vielleicht gab es diese Erkenntnis in der Literatur so deutlich früher nicht: Der „Faust“, und vor allem der zweite Teil der Tragödie, beschreibt die ersten Anzeichen des Kapitalismus. Der mit seiner rücksichtslosen Ausbeutung von Mensch und Natur die Lebensgrundlage aller um den Preis von immer mehr Profit zerstört. Nichts da vom Heraufziehen des Sozialismus „Mit freiem Volk auf freiem Grund und Boden stehn!“ Da ist wohl eher der später „doppelt freier Lohnarbeiter“ von Marx gemeint, der nur die sehr bittere „Freiheit“ hat, sich und seine Arbeitskraft zu verkaufen um nicht unterzugehen.

Dass Goethe diese Entwicklung so ahnte – das muss man sich einfach bewusst machen -, ist frappierend. Die Ausstellung zum „Faust“-Jahr tut genau das.

Und weil dieses Literaturerbe so ungemein wichtig ist, bekamen die Kästen mit den Manuskripten des Dramas im Goethe-Schiller-Archiv einen roten Punkt und die Nummer eins. Falls es brennt – was alle Schutzheiligen verhindern mögen – ist das ein Zeichen für die tapferen Männer und Frauen der Feuerwehr, diesen Schatz zuerst zu retten…

Rasant geht es in der neuen „Faust“-Inszenierung am DNT in der Regie von Jan Neumann zu. Mit Musik zwischen Choral und schreiendem Heavy Metal, mit Augenweide-Kostümen (Nini von Selzam) und einer Setzkasten-Bühne (Matthias Werner), was alles pragmatisch der Handlung dient. Allerdings: Schon der alte Anton Tschechow war der Ansicht, dass, wenn im ersten Akt auf der Bühne ein Gewehr zu sehen ist, es im dritten Akt abgefeuert sein muss. Warum also der große, dicke Steinbrocken an einem Seil während der ganzen Zeit über der Szene schwebt? Ich habe es mir am Ende so erklärt: Ist es der Stein des Sisyphos oder eher das Schwert des Damokles? Vielleicht beides. Die immerwährende Müh`, die antreibende Neugier, zu erkennen, „was die Welt im Innersten zusammenhält“, immer weiter zu machen, schwebt mit den Ergebnissen aus diesem Tun stets als Drohung über uns allen. Der Wahn des Machbaren hat doch schon längst absurde Züge. Am Ende wird der Koloss oben geblieben sein und den knorrigen alten Olivenbaum (mehr Leben geht kaum) darunter nicht zerschmettert haben. Hurra, wir leben noch!

Glücklich: Gretchen und Faust.

Glücklich: Gretchen und Faust.

Ansonsten, so versprach es Dramaturgin Beate Seidel in der Einführung, „folgt die Inszenierung dem Reclamheft“. Gut, der Text ist gekürzt, sonst schafft man das Ganze in dreieinhalb Stunden nicht; und manchmal holpert es auch, weil man den fehlenden Text hörend vermisst. Aber es ist damit zu leben. Der arme Faust sitzt zwischen Umzugskisten und jammert seinen Monolog zwischen Verzweiflung und Wut. Nichts geht mehr. So geht es nicht weiter. Aber was nun? Sebastian Kowski war in der vorangegangenen Inszenierung ein Mephisto zum Niederknien, dem man sich gerne an den Hals geworfen hat. Nun ist er der Doktor. Der alte, denn es gibt noch einen jungen (Fabian Hagen). Auch der Mephisto ist gedoppelt, als Duo infernale der Glanzpunkt der Aufführung: Nadja Robiné und Krunoslav Šebrek. Ja, der Teufel ist schon manchmal sehr weiblich.

Warum erzählen wir eigentlich diesen „Faust“ immer wieder neu? Weshalb ist das Interesse daran ungebrochen (die Aufführung war ausverkauft)? Weil ohne gemeinsames Erzählen Staaten zu zerfallen drohen, wie die Akteure in der Hexenküche behaupten? Das jedenfalls steht nicht in Goethes Text, sondern in einem Essay des Konzeptkünstlers Thomas Feuerstein. Aber es stimmt schon: gemeinsame, verbindende Geschichte(n) hält zusammen. Obgleich die Gegenwart sehr verschiedene Erzählungen über Vergangenheit aushalten muss. Die große Tragödie jedenfalls, die der Dichter nach 60 Arbeitsjahren seinem Publikum hinwuchtete, wird nun in Weimar auch komödiantisch erzählt.

Die Regie hat dafür viele Einfälle: Man gibt das Stück, wie vom Direktor im Vorspiel gefordert, in Stücken. Noch nie war mir aufgefallen, dass das Drama wirklich nur aus vielen Szenen besteht, die sich am Ende aber zu einem Ganzen fügen. Das ist logisch, bedenkt man den langen Arbeitszeitraum, in dem die Tragödie entstand. „Faust I“ also als muntere, lockere Collage. Was die Welt „im Innersten zusammenhält“, weiß man zwar am Ende nicht. Aber wer wüsste das schon – es bleibt die unendliche Geschichte. Ein bisschen Konzeptkunst ist es diesmal in Weimar eben auch. Aber das ist unterhaltsam von Beginn an.

Eine schöne Paarung, ein Gegensatz-Duo, sind die beiden Fausts. Der junge Stürmer und Dränger, der eher der Leidenschaft zuneigt als der Wissenschaft, und der Alte, der zum Zuschauer seiner selbst verdammt ist und sowieso nicht weiterweiß. Aus der Mephisto-Dopplung ergeben sich keine Widersprüche, aber sie ist einfach umwerfend in ihrem Spiel. Und Teufel kann man doch nie genug auf die Bühne stellen – als Warnung vielleicht auch? Mit Zartheit aber sehr selbstbewusst ist Tahera Hashemi ein wehrhaftes Gretchen. Sie scheint zu wissen, worauf sie sich einlässt, dass sie „an seinen Küssen vergehen sollt“. Aber sie will es.

Hexenküche: Upps! Kaputt die Welt.

Hexenküche: Upps! Kaputt die Welt.

So liegt am Ende die Welt in Trümmern. In der Hexenküche hatten die tölpelhaften Meerkatzen die Weltkugel bereits fallengelassen. Upps. Kaputt.

Und wenn das in Auerbachs Keller die studentische Elite sein soll – da schwant einem nichts Gutes. Dann lieber besinnungsloses Bacchanal in der Walpurgisnacht. Ich habe es übrigens das erste Mal erlebt, dass ein empörter Besucher die Veranstaltung verließ, weil es ihm zu heftig-deftig war. Dabei waren diese Texte wirklich alles von Goethe!

Was machen wir also nun mit den Scherben, außer sie aufzusammeln und wieder aufs Podest zu legen. Vielleicht merkt es ja keiner. Goethe hatte auch keine Lösung. Das Theater in Weimar auch nicht. Und wir alle? Aber auf jeden Fall versprach die große Videoschrift über der Szene am Ende: Fortsetzung folgt.

Barbara Kaiser – 06. Mai 2025

www.nationaltheater-weimar.de

www.klassik-stiftung.de

 

 

 

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