Der Schreibtisch von …
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Foto: Kathrin Marie Arlt
Sabine Bracker
„Bring den mal zu Sabine.“ Dieser Satz gehörte schon sehr früh, also zu Kinderzeiten, in das Umfeld von Sabine Bracker. Wenn ein humpelnder Hund oder ein verirrter Igel im Umfeld vom Familienhof der Brackers aufgefunden wurde, oder Bulli, das lungenkranke Bullenkalb. Und irgendwie ist dieser Satz heute noch gegenwärtig. Tiere aufzupäppeln und ihnen ein geschütztes Zuhause zu bieten, das ist für Sabine Bracker allerdings längst kein Hobby mehr, sondern ein Fulltimejob, 24/7.
Die Frau mit dem blonden Zopf und den großen blauen Augen stapft mit schweren Schuhen und dicker Weste die Stufen zum Wohnwagen hinauf. Melli, eine Hündin, die über Umwege aus der Ukraine zu ihr gelangte, weicht ihr nicht von der Seite. Der Wohnwagen ist der Ort, in dem auch mal Besprechungen stattfinden, Rechnungen unterschrieben werden… Aber ein Schreibtisch? Fehlanzeige. „Den habe ich in der Hosentasche“, schmunzelt Sabine Bracker und fischt einen Stift und einen Block hervor. In der Weste ist das Handy verstaut. „Mehr brauche ich nicht, für alles andere ist in enger Absprache der Vereins-Schriftführer zuständig. Papierkram ist nicht meins“, bekennt sie augenzwinkernd.
Der Verein, von dem die Rede ist, findet sich in der Nähe von Natendorf auf einem weitläufigen Grundstück mit Wohnhaus, Stallungen, Scheunen, kleinen und größeren Weideflächen und rund 150 Tieren: der Verein für misshandelte Tiere e.V.. Über Umwege und viele Umzüge ist Sabine Bracker hier gelandet und hat – mit Helfer*innen, Spenden und viel Tatkraft – diese Zufluchtsstätte aufgebaut. Schafe, Ziegen, Schweine, Hunde, Katzen, Vögel, Pferde, Esel… Wenn Missstände festgestellt werden, weniger von Nachbarn, vielmehr vom Veterinäramt, versucht sie zu helfen. „Das ist nicht immer möglich. Manchmal muss ich ablehnen, weil ich einfach keinen Platz habe, um sie wirklich gut zu versorgen“. Oft sind es Tiere, die misshandelt oder vernachlässigt wurden. Auch einige, die nicht mehr „nutzbringend“ sind, beispielsweise die 23-jährige Stute Coco, die eine Beinfehlstellung hatte und zudem eine Krebserkrankung am Huf. Mit viel Geduld und Fingerspitzengefühl wird dann versucht, sie wieder aufzupäppeln.
Der Tag beginnt morgens recht früh, wenn die Hunde ihre Rechte – Futter und „Auslauf“ – einfordern. „Die haben Vorrang“, erzählt Sabine Bracker und lächelt, „und dann komm ich auch irgendwann zum Frühstücken, bevor es auf die Weiden geht oder auf den Trecker…“. Sie scheint hier auf dem Hof und in ihrem Tun angekommen zu sein. Schule, eine Lehre als Fotolaborantin, ein Intermezzo in Wolfenbüttel – das alles liegt weit zurück. „In einem anderen Berufsumfeld mit all den Reizen und vielen Menschen wäre ich auch überfordert mit ADHS“, sagt sie. Diese Beeinträchtigung steht ihr auf dem Hof nicht im Weg. Im Gegenteil: „Das Gute ist: Ich kann rund um die Uhr arbeiten. Und ich verdanke ADHS auch meine große Empathie und mein Bauchgefühl, auf das ich mich im Umgang mit den Tieren absolut verlassen kann“.
Was sie antreibt? „Ich will immer wissen, warum etwas so ist oder funktioniert.“ Das Mehr-Wissen holt sich die 49-Jährige quasi nebenher über Hörbücher, während sie Paddockmatten an den Futterstellen verlegt, auf dem Radlader unterwegs ist oder mit der Flex neue Unterstände zurechtstutzt: „Meine mobile Wissensbibliothek habe ich dabei“. Ihr Faible für Tiere, das hat sie vom elterlichen Betrieb mitgenommen. Und einen ihrer Grundwerte: Helfen kann man immer. „Ich will Verantwortung übernehmen und irgendwann mal sagen: Ich habe es getan – und damit positive Fußspuren hinterlassen. Vielleicht ist die Welt dann ein bisschen schöner… Das ist mein Kraftpool“.
Kathrin Marie Arlt
3 Fragen an Sabine Bracker
Was darf auf meinem Schreibtisch auf keinen Fall fehlen?
Ein Stift, mein kleiner Block und das Handy, obwohl ich auf das manchmal gerne verzichten würde.
Mein Schreibtisch ist für mich …
klein und mobil
Wenn ich einen Wunsch frei hätte: Was müsste auf meinem Schreibtisch zu finden sein?
Eine Tüte Kraft.
Der Verein für misshandelte Tiere e.V. ist ein gemeinnütziger Tierschutzverein, der sich auf die dauerhafte Unterbringung verhaltensauffälliger, misshandelter und nicht vermittelbarer Tiere spezialisiert hat. Von dort aus werden auch Tiere vermittelt. Aktuell sind es vor allem größere Tiere – Pferde und Schafe – für die noch ein gutes Zuhause gesucht wird. Alle Infos und Kontakt: www.gnadenhof-niedersachsen.de.