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Feuilleton News

Voller bannkräftiger Momente

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Erik Matz saß beim 7. St.-Marien-Sommerkonzert an der großen Orgel

Es ist immer wieder erstaunlich, woher Kantor Erik Matz seine Partituren zaubert, die er dem Publikum vorstellt. Das gilt für die großen Auftritte mit der Kantorei und Orchester genauso wie für die kleinere Form: Sein jährliches Orgelkonzert im Sommer. Im 7. St.-Marien-Sommerkonzert saß Matz an der Eule-Orgel und spielte unter der Überschrift „Barocke Moderne und modernes Barock“. Denn dass Johann Sebastian Bach auch 274 Jahre nach seinem Tod immer noch das Maß aller Dinge ist – von den meisten sowieso nicht erreicht – das bestreitet wohl keiner. Und so hielt das Programm auch „zwei Bäche“ (Matz) bereit, zwei Stücke vom Übervater aller aus dieser Familie: Pièce d`Orgue G-Dur und Toccata und Fuge d-moll.  Daneben erklang von Johann Jacob Froberger die Suite in G, der Komponist war schon neun Jahre tot, als Bach geboren wurde. Und auf dem Zettel stand „die Moderne“, Noten des Ungarn Zsolt Gárdonyi (*1946) und des Österreichers Peter Planyavsky (*1947). Am Schluss noch der Griff in die Hochromantik mit Louis Vièrne und dessen „Pièces de Fantaisie“.

Der Solist begann fingerflink (und nicht ganz ohne Haken) das Orgelstück in G-Dur (BWV 572), dessen erste Spielvorschrift denn auch trës vitment – sehr schnell – lautet. Beim zweiten Abschnitt, dem gravement – ernsthaft – gelang das feierliche Schreiten nachdrücklich

Zsolt Gárdonyis sechs Choralimprovisationen war eher wohlfeil-diffuse Geräuschkulisse, bis die Zuhörer bei „Ein feste Burg“ ganz bestimmt aufgemerkt haben. Matz spielte mächtig, bestimmend, triumphal; mit fröhlicher Radikalität.

Die folgende frühbarocke Suite von Froberger wurde mit Launigkeit zustande gebracht, von der zierlichen Allemande zur schwungvoll-punktierten Gigue. Peter Planyavsky versuchte sich an einer „Toccata à la Rumba“. Das waren spannende Noten zwischen Aufladung und Askese; eine Rumba vermochte ich allerdings beim besten Willen nicht erkennen. Aber vielleicht hat man ja auch die falschen Bilder im Kopf!

Danach mein ganz persönlicher Glanzpunkt dieser Konzertstunde: Toccata und Fuge d-moll (BWV 565). Das Werk folgt der großangelegten norddeutschen Toccatenfuge, wie sie vor allem Buxtehude mit kraftvollen Ausdruck zu füllen wusste. Es ist ein geniales Frühwerk des Komponisten Bach aus seiner Arnstädter Zeit. Aus der Stadt, wo die Kirchengemeinde den jungen Organisten sowieso nicht verstand, weil er ihnen zu aufregend war.

Erik Matz behielt in seinem rasanten Tempo sehr wohl die Übersicht und entfaltete Bachs großartige Polyphonie voller bannkräftiger Momente. Es hätte eigentlich der grandiose Schlussakkord sein können. Da Matz aber immer abwechselnd Barock und Moderne spielte, wäre er etwas schuldig geblieben.

Er ersparte seinen Zuhörern jedoch das ganz Abseitige und wartete mit Hochromantik auf. Louis Viërnes Orgelfantasiestücke klingen mal wie der Jahrmarktsleierkasten, mal wie ein  neckisches Tanzstück. Bis „Carillon de Westminster“ (das Glockenspiel von Westminister) versucht, dem vorangegangenen Bach nachzueifern.

Man muss sich das mal vorstellen: Da komponiert ein Franzose zum Westminster-Glockenspiel, nicht etwa zu dem von Notre Dame! Aber ja – es hatte überwältigende Augenblicke, egal welchen Glocken nachempfunden. So verließ man zufrieden mit der bestätigten Erkenntnis die Kirche: Auf Bachs Schultern stehen sie alle! Erik Matz` Zugabe, eine spontane Improvisation zu „Komm Herr, segne uns“ widerlegte diese Wahrheit auch nicht. Und schuldig geblieben ist der Kantor sowieso nichts mit seinem Konzert. Danke dafür.

Am kommenden Samstag, 24. August 2024, ist Joachim Vogelsänger aus Lüneburg zu Gast und spielt zu „100 Jahre Orgelmusik in Paris“. Da kommen sie also wahrscheinlich wieder: Vierne, Boëllmann, Franck, Widor…

Barbara Kaiser – 18. August 2024

 

 

 

 

 

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