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Bach vs. Piazolla

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In diesem 6. St.-Marien-Sommerkonzert gab es nur Sieger

Das hätte dem Johann Sebastian gefallen und ihm großen Spaß gemacht: Entsprach das, was im sechsten St.-Marien-Sommerkonzert erklang, doch ganz und gar seiner eigenen Spiel- und Improvisationsfreude und seinem unendlichen musikalischen Erfindungsreichtum. Wofür er sich auf seiner allerersten Kantorenstelle in Arnstadt zwar permanenten Ärger einhandelte, das aber seinen Namen durch die Jahrhunderte unsterblich werden ließ. Ob die Arnstädter heute auch noch solche Banausen sind, weiß man nicht.

Zu Gast im sechsten St.-Marien-Sommerkonzert war das „ensemble diX“ aus Gera. Der eigentümliche Name weist auf die Geburtsstadt des Malers Otto Dix, der im Jahr 1891 in Untermhaus (das erst seit 1919 ein Stadtteil von Gera ist) das Licht der Welt erblickte. In Thüringen hat man es ja schwer, sich neben all den Größen in Weimar, Jena, Eisenach und Erfurt ein Alleinstellungsmerkmal zu erarbeiten – warum also nicht Otto Dix.

Das „ensemble diX“ besteht aus Soloholzbläsern des Philharmonischen Orchesters Altenburg-Gera. Es gründete sich 1999. Schwerpunkte des Repertoires sind unter anderem auch Vertonungen von Otto-Dix-Gemälden sowie die Präsentation von Kammermusik in ungewöhnlichen Besetzungen. Dass die fünf Herren Andreas Knoop (Flöte), Albrecht Pinquart (Oboe), Hendrik Schnöke (Klarinette, Arrangements, Moderation), Roland Schulenburg (Fagott) und Vincent Peterseim (Kontrabass) das in einer aufregend-unnachahmlichen Weise können, bewiesen sie auch in St. Marien. Titel des Programms: „BACHianas argentinas“. Die Vermutung, es könnte neben dem Barockmeister auch um den Tangospieler Astor Piazolla gehen, war die richtige.

Die Interpretation der Werke dieser zwei Musiker, die jeweils für eine ganze Welt stehen, bezauberte die zahlreichen Zuhörer. So war der Choral „Wachet auf, ruft uns die Stimme“(BWV 645)  ein zerbrechliches Beben, ein heimliges Davonfliegen; die Klarinette und der Bass, bereichert durch Oboenzwischenrufe aus dem hinteren Teil des Kirchenschiffs. Danach wechselten sich die Komponisten ab, über deren  Leben Hendrik Schnöke neben seinem Klarinettenspiel vortrefflich, mit Charme und nicht ohne Humor zu plaudern wusste.

Die 60 Minuten Konzert genügten höchsten musiziertechnischen Ansprüchen und bestachen durch einen konzentrierten Glanz. Sie waren pulsierender Energiestrom und kühne Unternehmung gleichermaßen. So wurden Präludium und Fuge a-moll (BWV 895) nur durch ein paar andere Phrasierungen zum heitersten Anklang an den Tango, war eben dieser „Libertango“, dessen Titel die Kombination des Wortes Libertad (Freiheit) und Tango ist, eine herrliche Polyphonie. Luftig, leicht, durchsichtig und munter.

Die Musiker auf der Bühne haben jene Harmonie des Zusammenspiels erreicht, die fünf Individuen zum verständnisvoll klingenden Gespräch vereint. Im Aufeinanderhören, nie im Gegeneinander. Töne wie Farben, Farben wir Düfte. Da tat nirgendwo Routine der Perfektion des Spiels Abbruch. Nur Staunen darüber, wie modern Bach ist, wie nahtlos sich Piazolla, der Bach verehrte, in solch ein Konzertprogramm fügte.

Es gab langen Beifall und natürlich Grund für eine Zugabe, wo der Kontrabass, der ein verlässlicher Grundierer der vier Bläser war, zu Ehren kam. Dank an das „ensemble diX“ für diese Hörerfahrung.

Am Samstag, 17. August 2024, sitzt Kantor Erik Matz selbst auf der Orgelempore. Sein Thema: „Moderner Barock & barocke Moderne“. St. Marien, 16.45 Uhr.

Barbara Kaiser – 11. August 2024

 

 

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