Power per Posaune
teilen
„Opus 4“ aus Leipzig spielte sich im 5. Sommerkonzert durch Barock- und Jazznoten
Ins Samstagabendläuten hinein spielte das Quartett aus Leipzig die allerletzte Zugabe: die Motette „Verleih uns Frieden“. Ach, würden die Glocken dazu doch Friedensglocken gewesen sein … „Opus 4“ war zu Gast beim fünften St.-Marien-Sommerkonzert und das Mittelschiff der Kirche war voll besetzt. Weil Konzertbesucher wissen, was die Leipziger Musiker zu bieten haben, ist hochkarätig und verlässlich ein Hörgenuss.
In diesem Jahr feiern Jörg Richter (*1960), Dirk Lehmann (*1966), Hans-Martin Schlegel (*1969) und Wolfram Kuhnt (*1965) ihr 30-jähriges Jubiläum als Quartettausgründung aus dem Leipziger Gewandhaus. Das sind sage und schreibe 236 (Lebens)Jahre Posaunenkompetenz und Spielfreude aus Sachsen. Wobei ausgerechnet der Chef der Truppe, Jörg Richter, in Magdeburg, also Sachsen-Anhalt, geboren wurde. Aber dafür kann er ja nichts.
Mitgebracht hatten die Instrumentalisten für ihr Konzert Renaissance- und Barocknoten zwischen Claudio Monteverdi, Heinrich Schütz und Johann Sebastian Bach, ein bisschen Romantik mit Mendelssohn-Bartholdy und Anton Bruckner, an dessen 200. Geburtstag in diesem Jahr zu erinnern ist, und die unsterblichen Partituren von Irvin Berlin und George Gershwin.
Die vier Posaunisten legen stets eine schöne Homogenität an den Tag; alles vollführen sie synchron: die subtilste Schattierung, die fragilste Phrasierung, die Akzente. Und wenn Jörg Richter als Moderator vor der Fuge in d-moll von Bach sagt, er hoffe, am Ende kämen alle wieder gleichzeitig an, dann ist das die blanke Koketterie (Ich kennen diesen Spruch übrigens schon seit Jahren!) Auf dem Programm standen Stücke, die genüsslich, polternd oder heiter, zu lustvollem Zuhören herausforderten. Das Spiel des Ensembles ist makellos und ein anderer Begriff als „virtuos“ mag einem dazu nicht einfallen.
Hin und wieder donnerten von draußen ein paar Bässe des Stadtfest-Schwoofs bis in die Kirche. Aber das ist eben der Unterschied zwischen Musik und Musik: Die wahre vernimmt man als Gesamtklang auch über die Distanz, von der Massenware, die nur einen Takt zu kennen scheint und schon gar kein Zusammenspiel verschiedener Stimmen, dröhnen nur die Bässe. Die Melodie, so es denn eine gäbe, wäre austauschbar.
Die Barockposaunen des Beginns tauschten die Musiker im Verlauf des Konzerts gegen moderne Instrumente. Und so spielten sie sich durch ihr Repertoire, mal schmetternd, mal weich, brachial oder innig. – Die Geschichte von den Mauern einreißenden Blechbläsern wurde hier schon öfter bemüht. Sie drängt sich ja beim Gastspiel der vier Herren geradezu auf. Wobei die allerdings keine posaunenden Priester sind, die damals, im Alten Testament, den Kriegern voranmarschierten (eine interessante Konstellation, oder?). Die Mauern von St. Marien standen nach dem Konzert noch, denn die vier Leipziger bewiesen, wie sanft das Blech zu handhaben sei.
Kein eingetrübter Ton, kein rauer Hauch. Glanz in treffenden Nuancen und Farben, Eleganz und Lakonik des Ausdrucks. Die Stimmungs- und Klangwechsel machten den frühen Abend musikalisch aufregend. Hätte Bach von der Vielfalt gewusst, die eine Posaune zu entwickeln in der Lage ist, er hätte mehr für sie komponiert. Aber der Notensetzer stand mehr auf Trompeten wie wir wissen.
Die Akteure beherrschen alle Register: Den fröhlichen Blechlärm in Dur von Irving Berlins „Alexander`s Ragtime Band“ – ganz fein ziseliert bei allem Radau – ebenso wie das hochkomplizierte Wirrwarr beim Gershwin-Porträt, das zum Erstaunen des Zuhörers immer zueinander passt. Zwischen „Summertime“ und „Rhapsodie in Blue“. Aber wer schon Johann Sebastian Bachs Toccata und Fuge d-moll als atemberaubenden Höhepunkt im Programm hatte, dem sollte derlei Partitur keine Mühe bereiten.
Die Kunst der Fuge und der Polyphonie mit vier Musikern – das macht den Leipzigern so schnell keiner nach. Das Ensemble spielte mit einer gläsernen Präzision, die man drehen und wenden kann – stets das gleiche Funkeln! Makellose Ansätze, hüpfendes Staccato und zauberhaftes Legato, dazu Glissandi zum Niederknien. Barocke Gemächlichkeit, die trotzdem nirgendwo breiig zäh ist und jazzige gute Laune.
Der Abend entfaltete die emotionale Wucht der kleinen Form. Für den reichlich gespendeten Beifall hatte das Publikum am Ende genügend gute Gründe. Natürlich ließen die Besucher „Opus 4“ nicht ohne Zugabe(n) von der Bühne. Ein kroatischer Tanz und der „Säbeltanz“ von Aram Chatschaturjan aus dem Ballett „Gajaneh“. Der „Hummelflug“ von Rimskij-Korsakow sei in Arbeit. Als dann beim nächsten Mal!
Am kommenden Samstag, 10. August 2024, sind Gäste aus Thüringen zu Gast: Die Gruppe diX aus Gera spielt „BACHiana argentinas“ – Tango-Adaptionen für Holzbläserensemble. Um 16.45 Uhr, St. Marien.
Barbara Kaiser – 04. August 2024