Individualität zugelassen
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Auch nach 60 Jahren ist der BBK ein Kollektiv mit vielen Gesichtern
Eine Zugehörigkeit muss man erleben, kann sie nicht definieren. Das ist mit vielem so. Ob es auch auf den Berufsverband der Bildenden Künstler (BBK) zutrifft? Was bedeutet für die derzeit 23 Mitglieder der Gruppe Uelzen das Kollektiv, das doch eher weniger Persönlichkeit verträgt? Das ja immer auch Einschränkung bedeutet. Die Gruppe der Künstler:innen im Landkreis Uelzen gründete sich vor nunmehr 60 Jahren. Wie hat sich die Welt seitdem weitergedreht! Immer noch jedoch ist der Berufsverband Interessenvertretung, Diskussionsforum, Plattform für eine Darstellung nach außen. Am Wochenende, Samstag, 31. August 2024, ab 17 Uhr, feiert der BBK Uelzen in seinem Domizil in Oldenstadt.
Unbestritten waren die 82 aktuellen und gewesenen Mitglieder Teil der Kulturszene im Landkreis und darüber hinaus. Fanden die ersten Treffen zuerst in Kneipen statt, bekam die Gruppe im Jahr 1982 ein Zuhause im Historischen Zentrum Oldenstadt. Es war einer bis in die Gegenwart zu lobender Einfall des Landkreises, der seine Künstler:innen nicht im Stich ließ und ihnen mit den Räume einen Platz für Präsentationen, Fortbildungen und Kursen zur Verfügung stellte. Dass der Landkreis nach über 40 Jahren immer noch zu dieser Entscheidung steht, kann nicht hoch genug bewertet werden.
Mit einer ungezählten Reihe von Projekten und zahlreichen Ausstellungen wurden Ideen entwickelt, wurde sich gegenseitig inspiriert, über Themen der Kunst und der künstlerischen Berufe (und Berufung) sich verständigt. Vor Ort waren die Künstlerinnen und Künstler stets sichtbar und wirksam, die Zusammenarbeit mit dem genauso alten Kunstverein war eine fruchtbare. Kunst und Kunstvermittlung gehen bis heute Hand in Hand.
Die Uelzener Gruppe gehört zum BBK-Bundesverband mit seinen 14 Landesverbänden und über 10 000 Mitgliedern. Sie thematisiert unter anderem Fragen der Künstlersozialversicherung, des Urheberrechts und der Ausstellungshonorare – damit Kunst nicht zu Selbstverständlich-nebensächlichem verkommt. – Für den BBK Uelzen sind 60 Jahre für die Kunst vor Ort ein Grund, auf Vergangenes und Zukünftiges anzustoßen. Die Gruppe feiert ihr Jubiläum mit einer Ausstellung, zu der jedes Mitglied eine ihm besonders wichtige Arbeit beisteuert.
Und deshalb laden sie alle auf ein „Prosit!“ – es möge weiterhin nützlich sein: Waldemar Nottbohm, Heinrich Heeren, Wil Frenken, Wilhelm B. Tarnow, Georg Lipinsky, Helmut Bredtmeyer, Katja Lasar, Annette Grund, Renate Schmidt, Rena Meyer, Beata Krampikowski, Jutta Weingarten, Petra Vollmer, Kerstin Voss, Simona Staehr, Katja Schaefer-Andrae, Ulrike Bals, Jochen Quast, Kerstin Sørensen, Anke Gruss, Claudia Krieghoff-Fraatz, Vera Dornfeldt, und Petra Merz. Nicht alle der Künstler:innen werden anwesend sein, ihre Bilder aber sehr wohl.
Man kann ja nicht leben ohne den Vergleich, den Vergangenheit anbietet. Und so sucht man Vertrautes vor den 21 Bildern. Ja, man erkennt die alte Eleganz von Heinrich Heeren („Im Kloster Wienhausen“), findet bei Wil Frenken die Kreaturen („Entenvogel“) der Ebstorfer Weltkarte und weiß die Farbigkeit und Eigensinnigkeit des Porträts von Wilhelm Tarnow („Mozart“) zu schätzen. Bei Georg Lipinsky muss man nicht lange überlegen: Sein schwarzes Hakenkreuz besteht aus Mausefallen, in denen sich der kleine deutsche Michel, der bunte Gartenzwerg, verfing. Es gibt kein Bild, das aktueller wäre, obgleich dieses aus dem Jahr 1990 stammt!
Es wäre schön gewesen, hätte jede:r Künstler:in in zwei/drei Sätzen ein Statement dazugegeben, warum ausgerechnet diese Arbeit für ihn/sie das „besondere Bild“ ist. Im Gespräch erfahre ich, dass Renate Schmidts „Istanbul“ eine Szene von einer Reise (die sie 2015 noch mit ihrem Mann machte) wiedergibt, die für sie die modernen Widersprüche sind: Eine Muslima mit Smartphone vor der Skyline der Stadt; so viel Tradition in der Verschleierung – so viel Moderne. Und auch Simona Staehr kann ihr Bild „Adoleszenz“ erklären: Auf dem runden Format drehen sich ein Gesicht und Blumen, als würden sie in einen Strudel gezogen. Nun hat die Künstlerin ihre Pubertät hinter sich, aber ja, sagt sie, sie erkenne sich in ihrer 16-jährigen Enkelin wieder. Diese Tagträume, dieses Suchen, diese Neugier auf das, was kommt.
So weit so gut. Aber was mache ich mit „Die höchste Gnade“ von Claudia Krieghoff-Fraatz. Auf dem Ölbild ist eine Grablegung zu sehen. Zwei junge Damen legen eine nicht viel ältere in die Grube. Nun muss man bei Claudia Krieghoff-Fraatz immer auch Ironie vermuten, es gab mal eine Ausstellung zum Thema „Die Prä-Raffaeliten sind tot!“, was hieß, für sie war das Kopieren dieser Sujets, der Fantasie getränkten Feen-Motive vorbei. Vielleicht legt die Malerin auf dem für sie „besonderen Bild“ diese Schaffensphase zu den Akten?
Es ist eine schöne Ausstellung. Man sollte jedoch die Künstler:innen stellen und sich die Bilder erklären lassen! Warum findet Petra Merz „Flächen“ und die Rückkehr in eine Art Kubismus „besonders“? Warum entschied sich Waldemar Nottbohm für den „Zugvogel“ (Öl auf Papier) aus dem Jahr 1955, wo er mit entschieden größeren, plastischen Arbeiten bekannt ist? RENA Meyers „Küstentöne“ erschließen sich sofort: Die Sehnsucht nach dem Meer kann übermächtig sein. Kerstin Sørensens „Himmel“ ist das reine Gefühl. Auch die Sehnsucht nach gelebten Jahren in Norwegen?
So könnte man die Reihe weiter durchgehen, mit Fragen oder selbst gefundenen Antworten – oder Ratlosigkeit. Weil aber die „besten Vergrößerungsgläser für die Freuden dieser Welt“ die sind, „aus denen man trinkt“ (Ringelnatz), darf man am Wochenende erst einmal anstoßen: Auf eine 60-jährige erfolgreiche künstlerische Arbeit. Auf das Leben. Auf die Freude (auch wenn diese Welt zurzeit so freudlos wie lange nicht ist). Auf Kreativität und Spiegelung, auf dass wir uns alle (vielleicht) erkennen. Und auf die weiteren Jahre. Herzlichen Glückwunsch!
Barbara Kaiser – 28. August 2024