Die Reise des Musikanten Moische
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Fotos: Barbara Kaiser
Søren Theis spielte sich im Ebstorfer Kloster durch Klezmer und Chanson
Als Reinhard Schamuhn noch lebte, gab es in seinem kleinen Theater regelmäßig Akkordeonmusikabende. Die Akteure kamen aus den Ländern der ehemaligen Sowjetunion, auf die korrekten Ethnien lege ich mich hier jetzt nicht fest. Es waren immer atemberaubende Stunden voller musikalischer Differenzierung, in denen die Solisten stets die Noten der Komponisten mit Charme, Verve und einem ungeheuren Charisma beglaubigten.
Wer das Akkordeon nach diesen Konzerten immer noch Quetschkommode oder gar Zerrwanst nannte und dabei an Reeperbahn und Schunkelromantik dachte, konnte nur ein Banause sein. Zudem war es ja nie des Instruments Schuld, dass es seine Seriosität durch die neue deutsche Volksmusik ein weiteres Mal einbüßte. Wie man nämlich die vertikale Klaviatur und die kleinen Bassknöpfe faszinierend handhabte – das konnte man an der Rosenmauer im Neuen Schauspielhaus erleben. Wo mehr Prestissimo nicht ging, wo sich die Freude am vitalen Spiel dem Publikum sofort mitteilte. Wo nirgendwo kalte Perfektion oder gar abspulende Routine herrschte, die brillierenden Handwerker die Stücke auf Effekt gebürstet und mit einem Augenzwinkern servierten, die musikalischen Einfälle zwischen unwiderstehlicher Euphorie, großer stiller Schönheit und hinreißendem Spaß sprudelten…
Aber Reinhard Schamuhn ist schon seit zwölf Jahren tot; die Akkordeonabende in seinem Häuslein leider ebenfalls. Da machte es hellhörig, dass die neue Äbtissin des Klosters Ebstorf, Angela Geschonke, sich für ihr erstes Konzert und den Start in die Konzertsaison 2025 den Akkordeonspieler Søren Thies einlud. Das Refektorium des Hauses füllte sich mit vielen erwartungsfrohen Gästen, es mussten sogar zusätzliche Stühle aufgestellt werden.
Der Musiker, geboren 1969 in Hamburg, erzählte über die Reise des Geigers Moische, die den vor 100 Jahren von Odessa nach Paris führte. Es waren also Noten zwischen Klezmer und Chanson zu erwarten. – Ich gebe zu, dass ich derzeit ein massives Problem mit dem Jüdischen habe und wahrscheinlich listete mich die derzeitige Bundesregierung auch unter „antisemitisch“. Aber inzwischen stößt die bedingungslose Treue zu Israel ja international an ihre Grenzen; in Frankreich beispielsweise äußerte die Rabbinerin Delphine Horvilleur öffentlich Kritik an der israelischen Politik, und die jüdische Journalistin Anne Sinclair sagte: „Wir sind innerlich verletzt und zerrissen durch die Aktionen der israelischen Regierung im Gazastreifen… Die Juden haben zu viel gelitten, als dass sie es dulden könnten, dass in ihrem Namen Leid und Schaden angerichtet wird.“ Das kann einen vielleicht irgendwann versöhnen mit der Schuld, die der Staat (!) Israel mit diesem Genozid an den Palästinensern derzeit auf sich lädt. Vielleicht.
Versöhnen durch die Musik konnte Søren Theis. Der Akkordeonist spielte die typischen Klezmerweisen genauso, wie er sich an die Interpretation der Lieder der Comedian Harmonists machte, mit Gilbert Becáud dessen „Natalie“ aus Moskau anschwärmte und mit Charles Trenet auf dem Meer, „La mer“, schaukelte. Um ehrlich zu sein, dachte ich bei Søren Theis’ Spiel wieder an „Quetschkommode“. Nein, der Interpret hatte, obgleich natürlich fingerflink, nicht die Akkuratesse und Seele seiner osteuropäischen Kollegen. Vielleicht will er diesen Kontrapunkt? Sein Spiel war auch manchmal zu ruppig und laut, er agierte sogar elektronisch verstärkt, was nicht nötig wäre. Und seine Intonation kam hin und wieder recht abenteuerlich und zerrig …

Äbtissin Angela Geschonke bedankte sich bei Theis für seinen Auftritt und hofft auf ein Wiederkommen.
Am Ende kann man sich aber vor allem den Musettewalzern nicht entziehen. Auch nicht der sympathischen Moderation des 55-Jährigen, der seit 30 Jahren solistisch unterwegs ist und die fiktive Geschichte des Musikers Moische locker und nicht ohne Humor erzählte. Das Ebstorfer Publikum erklatschte sich einige Zugaben und Søren Theis versprach der Äbtissin, wiederzukommen.
Barbara Kaiser – 26. Mai 2025