Der (einstigen) Grenze so nah
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Zu Besuch im Grenzlandmuseum Göhr
Wenn Dietrich-Wilhelm Ritzmann sein Museum betritt, dann fühlt er sich von einer Sekunde auf die andere in seine Jugend versetzt. Damals, als er 13 Jahre alt war und die Welt für sich entdeckte. Nun, vielleicht nicht die ganze Welt, aber zumindest jenen Teil, der Weltgeschichte geschrieben hat – die innerdeutsche Grenze.
1961, ein Schicksalsjahr der Deutschen. Das Jahr, in dem in Berlin die Mauer zwischen Ost und West hochgezogen und zum „antifaschistischen Schutzwall“ erklärt wird, zumindest von der politischen Führung der DDR. Das 1998 eröffnete Grenzlandmuseum findet sich in einem ehemaligen Trecker- und Maschinengebäude in Göhr, nur wenige Kilometer von Schnega entfernt, wo Dietrich Ritzmann aufwuchs und nur wenige Kilometer nördlich der vor mehr als 60 Jahren immer breiter, immer höher, immer unüberwindlicher wachsenden innerdeutschen Grenze, die bald lebensgefährlich wurde für die, die aus dem Osten flüchten wollten.
Schon als Kind hat Ritzmann ein Bild gemalt, das die Grenze aus seiner Sicht zeigte und das heute neben hunderten von Original-Exponaten in seinem liebevoll gestalteten Museum zu sehen ist. In den darauffolgenden Jahren wird die Grenze für ihn und seine Freunde zum fast täglichen Ausflugsziel. Die Grenzposten auf der anderen Seite beobachten, hinüber rufen, die Touristen, die aus (fast) aller Welt hierher nach Harpe kommen, bestaunen. Schon bald entwickelt sich daraus für die Jugendlichen eine Geschäftsidee. Warum nicht einfach die Embleme an den Grenzpfosten abschrauben und an die Touristen verkaufen? Besonders bei den Amerikanern sind die beliebt und bringen so manch eine Mark ein.
Vielleicht stammt aus dieser Zeit die Sammelleidenschaft, die Dietrich Ritzmann bewogen hat, mehr daraus zu machen – eine Art Lebenswerk, das heute mit dem Grenzlandmuseum von Göhr präsentiert wird.
Wer heute die Räume betritt, dem fällt sofort der Trabant Kübelwagen P601 A ins Auge. Immer noch versehen mit dem Emblem der DDR. Das Faltdach lässt sich zusammenschieben und so wird der Wagen in den Sommermonaten zum Cabrio, das heute noch fahrtüchtig ist. Eher unscheinbar, aber trotzdem voller Geschichte und Geschichten die sich eher bescheiden ausnehmenden Embleme von Grenzpfosten. Vielleicht nicht immer so ganz legal besorgt wie das unter Lebensgefahr abmontierte Schild der UDSSR an einem polnischen Grenzpfosten. Überhaupt weisen die ehemals 2735 Grenzpfosten der ehemaligen DDR eine Besonderheit auf, verfügten sie an ihrer Spitze doch über eine Art Dorn, der verhindern sollte, dass sich Vögel auf dem Pfosten niedersetzten und das darunter befindliche Staatssymbol beschmutzten.
Ein Diorama gleich nebenan vermag einen kleinen Einblick in die einstige Sperranlage vermitteln. Der 2,60 Meter hohe spitzkantige Zaun (im Original war er 3,20 Meter hoch) mit seinen Drähten, die bei Berührung die verheerende Selbstschutzanlage auslöste und durch den für Niederwild ein sogenanntes „Hasenloch“ gelassen wurde. Eine Rarität, die Dietrich-Wilhelm Ritzmann einst durch Zufall entdeckte. Direkt nach der Wende hat er sich mit dem ehemaligen DDR-Armeefahrzeug LO 2002, versehen mit zwei Lenkrädern und einer Luke über dem Beifahrersitz, an der ehemaligen Grenze auf den Weg gemacht, um alles an Erinnerungsstücken zusammenzutragen – wie etwa den „Ackerschnacker“, einen Feldfernsprecher.
Minenreste, Teile von Selbstschussanlagen, ein Entschlüsselungsgerät, Platzpatronen-Signalgeräte, Uniformen, ein Kreiselkompass aus einem Hubschrauber, die Original-Straßensperre aus Harpe – im Grenzlandmuseum gibt es viel zu entdecken. Mit dabei auch das riesige Emblem, das einmal wenige Meter hinter dem Grenzübergang Bergen/Dumme darauf hinwies, dass hier das Gebiet der DDR begann.
Besonders beeindruckend zeigen drei Schaukästen die Entwicklung der Grenzanlagen über die Jahrzehnte – den Zustand von 1945 bis 1962, den ab 1962 und schließlich die moderne Variante ab 1969.
Hunderte von Fotos, die Dietrich-Wilhelm Ritzmann im Verlauf der Jahrzehnte an der einstigen Grenze geschossen hat, ergänzen die sehenswerte Ausstellung und vermitteln noch heute etwas von der Schicksalsgrenze der Deutschen.
Geöffnet ist das Grenzlandmuseum in Göhr Nr. 13 von Donnerstag, 1. Mai bis zum Freitag, 3. Oktober sonnabends und sonntags jeweils von 13 bis 18 Uhr sowie nach Vereinbarung unter Telefon (05842) 600 sowie 245 oder 246.
[Dirk Marwede]