Wer hat Angst vor der KI? Ursula Poznanski hat welche.
Neulich – so stand zu lesen – beobachteten Wissenschaftler in einer Simulation, wie Sprachmodelle, künstliche Intelligenz (KI), die mit Nutzern über textbasierte Nachrichten und Bilder kommunizieren, militärische und diplomatische Entscheidungen trafen. Das Ergebnis war so erstaunlich wie erschreckend: Die moderne maschinelle Lerntechnologie, die der Computer nutzt, um Antworten zu generieren, eskalierte die Lage schnell und schreckte auch vor dem Einsatz von Atomwaffen nicht zurück. Ist das ein Wunder? Nein, denn KI kennt weder menschliches (Mit)Leid und schon gar keine Moral. Und es darf einen die Frage umtreiben, wie intelligent Maschinen werden können, welche Autonomie sie zu erlangen in der Lage sind und – ob sie die am Ende gegen die Menschheit selber richten können. Richten werden.
Vielleicht hatte Ursula Poznanski von solchen Experimenten gehört, als sie ihr Buch „Die Burg“ entwarf, worin die KI eine wesentliche Rolle spielt. Worum geht es: Der Milliardär Nevio hat eine alte Burg gekauft und sie instand setzen lassen. Mit Hotel und Gastronomie und allem, was vergangenheits-affine Besucher begeistern könnte. Der Clou der Anlage jedoch ist ein in den unterirdischen Gängen und Verliesen installierter riesiger Escape-Room. Sie wissen schon, solche Art der Belustigung, wo man sich einschließen lässt und nur durch die Lösung von Rätseln wieder frei kommt. Reiche Leute neigen ja dazu, ihr Geld für mehr oder weniger Unsinniges und nicht gerade für soziale Projekte auszugeben. Unter der Burg erwartet den Besucher also eine mittelalterliche Welt. Die KI erfüllt jeden Wunsch der Abenteurer, ob Ritterspiele, Hexenverbrennung oder Tavernenbesuch mit Würfelspiel. Die escape-willige Versuchskaninchen-Gruppe darf sich zu Beginn des Unternehmens all die Einlagen wünschen, mehr oder weniger gefährlich, mit Gruseleffekt versteht sich und Schwierigkeitsgrad der Rätsel.
Vor der Eröffnung lädt der Milliardär einen bunt zusammengewürfelten Haufen zum Test. Einen Historiker, weil auf Authentizität selbstverständlich Wert gelegt wird, einen IT-Spezialisten, der selber Escape-Räume bastelte, eine Influencerin für die Außendarstellung natürlich. Die Reise beginnt und es wird atemberaubend. Dass am Ende trotz aller Virtualität zwei Leute tot sind liegt nicht nur an der KI. Aber Mitleid kennt sie wirklich nicht, sondern spult ihr Programm wie gewünscht ab.
Ehrlich gesagt bin ich sonst kein Fan dieses Genres. Aber, siehe oben, man sollte schon einmal nachdenken darüber, was uns KI bescheren kann. Und bedenkt man, was sie in den falschen Händen anrichtet, müsste ihre Entwicklung ja eine neue Verantwortlichkeit voraussetzen. Gibt es die? Oder ist der Wahn des Machbaren zu verlockend? Auf jeden Fall ist „Die Burg“ Urlaubslektüre; im hellen Sonnenlicht muss man sich in den Verliesen des Gemäuers nicht zu sehr gruseln. Vor der KI und den Menschen schon.
Ursula Poznanski lebt mit ihrer Familie in Wien und war Medizinjournalistin. In den Jahren 2018/19 veröffentlichte sie zusammen mit Arno Strobel mit „anonym“ und „invisible“ zwei Kriminalromane, in denen es auch um das weltweite Netz geht. Das unser Leben so bequem machen kann, aber auch Gefahren birgt, in den Abgrund der menschlichen Seele schauen lässt. Das Hamburger Ermittler-Duo Nina Salomon und Daniel Buchholz arbeiten bis zur eigenen Erschöpfung und laufen dem Täter doch immer hinterher… In Wien spielen „Stille blutet“ und „Böses Licht“. Kommissarin Fina Plank und ihre Kollegen ermitteln akribisch; einmal im Theatermilieu, das eine Schlangengrube ist, und in einer Serie, in der die Morde angekündigt werden. Für Krimi-Fans würde ich diese vier Bücher durchaus für empfehlenswert halten, weil sie nicht nullachtfünfzehn sind, sondern der Plot raffiniert ausgedacht und solide geführt wird.
Am Ende noch ein Wort zur Nummer zehn der Jussi-Adler-Olsen-Reihe um Sonderermittler Carl Mørck, die jetzt abgeschlossen ist. Meinem manchmal auch verdammenswerten Hang zur Vollständigkeit verdanke ich, dass der 26 Euro teure (!) Band jetzt neben all den anderen steht. Ich bin schwer reingekommen in das mehr als 600 Seiten dicke Finale „Verraten“, aber anderen Leser:innen kann es anders gehen damit. Zwischendurch habe ich ein weiteres Buch von Charles Lewinsky (siehe letzte Ausgabe „Barftgaans“) gelesen. „Der Stotterer“ ist eine herrliche Studie wie einer, der nicht eloquent reden kann auf schriftliche Art zu manipulieren weiß. Für Mørck sind nun jedenfalls auch alle Rätsel gelöst, an die man sich erst wieder erinnern musste nach all den Jahren. Der Oberverbrecher ist davongekommen, das Finale war ziemlich sentimental. Über die größte Lesestrecker erging es mir aber so, wie es Rose, Carls Mitarbeiterin, auf Seite 496 sagt: „… irgendwie hatte sie nicht nur den Überblick über die vielen Stränge verloren, die Carls Fall umfasste, sie wusste auch nicht mehr, wie sie alle zusammenhingen.“ Das kann auch als Zusammenfassung des zehnten Bandes gelten.
Barbara Kaiser – September 2024