Die Schuhe ausgezogen
Zum Tod von „Heidewanderer“ Horst Hoffmann.
Wieder einmal ist eine Tatsache unverhandelbar, weil der Tod keine Kompromisse macht. Und wieder kam die Nachricht aus heiterem Himmel und unerwartet. Horst Hoffmann ist gestorben. Bei unserem letzten Telefonat ins Krankenhaus Hamburg war er immer noch der alte, witzig und – ja, auch optimistisch. Aber am Ende war der Kampf gegen die tückischste aller Krankheiten sehr kurz.
Mit Horst Hoffmann ist einer gegangen, dem sein Beruf Berufung war. Der seine Arbeit ernst nahm. Der sich herrlich aufregen konnte über Zeitgenossen, denen Regionalgeschichte nur ein müdes, manchmal auch abfälliges Lächeln wert war. Horst Hoffmann war ein Besserwisser. Allerdings solcherart, weil er Dinge eben auch besser wusste. – Es gab eine Zeit, da kam der Mann am Morgen in die Redaktion und verteilte – nach gründlichem Studium der Zeitung – sein Zitronenbonbon. Für ein falsches Relativsatz-s, für den kenntnislosen Umgang mit „scheinbar“ und „anscheinend“, für den falschen Plural. Manche Kollegen ärgerten sich selber maßlos über den Schnitzer, aber gedruckt war nun mal gedruckt; andere beförderten die süß-saure Mahnung in den Papierkorb. Und über den größten Knaller, „Bolognese“ statt „Polonaise“ haben wir gemeinsam noch lange gelacht!
Horst Hoffmann. 26. August 1947 bis 20. November 2024
Mit den Jahren hatte es Horst Hoffmann wohl aufgegeben, die vielen falschen „gleichzeitig“ und „zeitgleich“ zu monieren, die zahllosen inkorrekten grammatikalischen Formen – diese Schlamperei ist leider salonfähig geworden und schon lange im Fernsehen angekommen, wo es auch schon mal „Tunnels“ heißt.
„Eine Chronik schreibt nur derjenige, dem die Gegenwart wichtig ist.“ Für den Geheimen Rat zu Weimar mochte auch das eigene Bild für die Zukunft wichtig gewesen sein – für Horst Hoffmann, den Heimatchronik-Gestalter, traf die Aussage dennoch ohne Einschränkung zu. Für den 114 Jahre alten „Heidewanderer“, der in diesem Jahr im 100. Jahrgang (!) erscheint, unterschrieb er im August 1987, zu seinem 40. Geburtstag, den Vertrag.
Geboren im Jahr 1947 in Uelzen, nahm er nach dem Abitur sein „privates Studium generale“ in Angriff. Englisch, Geschichte, Frühgeschichte, Rechtsgeschichte, Geschichte der Naturwissenschaften…Ein Studium in den historischen Hilfswissenschaften gab es damals noch nicht. Eigentlich wollte Hoffmann mal in irgendeinem Archiv forschen und arbeiten. Es ist ein Glücksfall, dass er beim „Heidewanderer“ landete und später auch die „Altmark-Blätter“ anregte. Und ein ganz privates Archiv entstand über die vielen Jahre auch.
Es war immer so: Wenn einer in der Allgemeinen Zeitung Informationen brauchte zu längst Vergangenem, dann war Hoffmann der richtige Mann. Dann befragten ihn auch die Jüngeren, die rasenden Reporter, die das Format Heimatbeilage sonst oft genug belächelten.
Wie viele solcher Heimatbeilagen gibt es eigentlich in Niedersachsen? Herauszufinden waren in einer Bibliografie des Jahres 1971 ganze 31 Stück. Sie tragen so versinnbildlichende Namen „Am Webstuhl der Zeit“, „Unser Ostfriesland“, „Heimat am Meer“ oder“ Feierabend an der Weser“. In Sachsen-Anhalt gibt es übrigens nur eine einzige solche Publikation: „Die Altmark-Blätter“ bei der Altmark-Zeitung.
Horst Hoffmann war über lange Jahre mein Kollege, und ich danke ihm eine gewisse Aufgeschlossenheit und Großzügigkeit. Er ließ mich über Hermann Kant schreiben – wo andere nur „Staatsdichter“ schrien – und den neuesten Christa-Wolf-Roman besprechen. Er schickte mich los für ein Porträt seines Autors, der zufällig in meiner Heimat Thüringen wohnte. Er gab mir in seinem Blatt Raum, der die üblichen 75 Zeilen der Tageszeitung weit überschritt, sodass man als Schreiber auch einmal tiefer eindringen konnte ins Thema, es beleuchten aus verschiedenen Blickwinkeln, auf dass mehrere Facetten zu funkeln begännen. Und Horst Hoffmann war immer einer, der die Sprache hochhielt! Das verband uns am meisten, auch wenn sein Spott nicht immer nur nett war und man sich manchmal einfach wehren musste!
Hoffmann brannte für das Format „Heidewanderer“, hatte aber nebenher noch seinen eigenen Verlag gegründet, in dem beispielsweise Lyrikbände erschienen. Wer kümmerte sich heute noch um Gedichte? Hoffmann tat es. Er ging ins Theater, erschien auf jeder Vernissage von Kunstverein und BBK, war aktiv im Museums- und Heimatverein und gab dem jährlichen Heimatkalender ein Gesicht. Das sind jetzt nur die offensichtlichsten Dinge, die mit seinem Namen verbunden bleiben werden. Wo man sich aber auch beklommen fragt: Was wird wohl jetzt daraus?
„Mit der langjährigen Verbreitung verschiedenster regionalgeschichtlicher und naturkundlicher Themen über die Tageszeitung hat Herr Hoffmann einen großen Beitrag zur Identifikation der Menschen mit `ihrem` Landkreis Uelzen geleistet“, sagte Landrat Heiko Blume, als er den Kulturpreis des Landkreises 2016/17 an Horst Hoffmann übergab. „Ihr Herz schlägt für diese Ihre Heimat und es gelingt Ihnen, das auf Ihre Leser zu übertragen“, so der Politiker weiter.
„Im Grunde bin ich glücklich mit dieser Arbeit“, sagte der Heidewanderer VIII., denn sieben zuständige Redakteure waren es vor ihm, „ich kann meinen Neigungen leben und habe mit den unterschiedlichsten Fachdisziplinen zu tun. Und mit immer neuen Leuten obendrein.“ So hatte sich Horst Hoffmann Arbeit immer vorgestellt. Über die Frage nach einem Nachfolger wollte er nie nachdenken. Vielleicht, weil das Ergebnis ernüchternd ausfiel? Auch, weil er immer Lösungen finden wollte und nicht Probleme definieren.
Auf die Frage nach seinem Hauptcharakterzug antwortete George Tabori der FAZ einmal: Die Flucht in den Witz. Bei dieser Antwort dachte ich immer auch an Horst Hoffmann. Obwohl Zeit für Witze nicht immer angebracht ist. Aber Spaß, wirklicher Spaß, kostet Mühe, braucht Klugheit und manch schmerzliche Erfahrung auch.
„Alles Gewesene und Geschehene ist interessant, sofern nur zuverlässige Chroniken darüber erhalten sind“, wusste der russische Schriftsteller Nikolaj Gogol. Horst Hoffmann kümmerte sich um solche Chroniken, ohne Gegenwart zu vernachlässigen. Dafür wird man sich sehr lange an ihn erinnern. Jetzt hat er den Laptop für immer zugeklappt. Aber der Journalist hatte eine Forderung eines anderen großen Russen, Lew Tolstoi, für sich verwirklicht: Seinem Leben einen Sinn gegeben, den der Tod nicht vernichten wird.
Barbara Kaiser – 22. November 2024